KG Berlin: Haftbefehl wegen Fluchtgefahr – Zur Prognoseentscheidung

Gegen den Beschwerdeführer wurde Haftbefehl, der auf den Haftgrund der Flucht (§ 112 Abs. 2 Nr. 1 StPO) gestützt ist, erlassen.
Dem Beschuldigten wurde Untreue ( §§ 266 Abs. 1 und 2, 263 Abs. 3 Nr. 2 StGB ) zur Last gelegt, welche er im Rahmen der Tätigkeit als Geschäftsführer eine GmbH begangen haben soll.
Der Beschuldigte wurde aufgrund des Haftbefehls festgenommen, aber von dem Vollzug der Untersuchungshaft verschont. Allerdings wurde ihm auferlegt, sich zweimal in der Woche bei der zuständigen Polizeidienststelle melden, was er auch tat.

Die Strafverteidigung des Angeklagte hat gegen den Haftbefehl Beschwerde mit der Begründung erhoben, dass kein Haftgrund bestehe. Das Landgericht hat die Beschwerde als unbegründet verworfen. Hiergegen richtet sich die gemäß § 310 Abs. 1 Nr. 1 StPO zulässige weitere Beschwerde des Beschuldigten.

Dazu das KG:

„Fluchtgefahr ist dann gegeben, wenn bei Würdigung aller Umstände des Einzelfalles eine höhere Wahrscheinlichkeit für die Annahme spricht, der Beschuldigte werde sich – zumindest für eine gewisse Zeit (vgl. Hilger in Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl., § 112 Rn. 32 m.w.N.) – dem Strafverfahren entziehen, als für die Erwartung, er werde sich dem Verfahren zur Verfügung halten (vgl. nur OLG Köln StV 2006, 313; Meyer-Goßner, StPO 54. Aufl., § 112 Rn. 17; Graf in KK-StPO 6. Aufl., § 112 Rn. 16; Deckers in AK-StPO, § 112 Rn. 18, jeweils m.w.N.; enger Hilger a.a.O.: hohe Wahrscheinlichkeit).“
Das KG lehnt hier die Fluchtgefahr ab. Für die erforderliche Prognose seien die eine Flucht hindernden Tatsachen gegen die Tatsachen abzuwägen, die einen Anreiz für eine Flucht bieten:
„Bei der vorzunehmenden Gesamtwürdigung sind unter anderem die Persönlichkeit, die persönlichen Verhältnisse und das Vorleben des Beschuldigten, die Art und Schwere der ihm vorgeworfenen Tat, das Verhalten des Beschuldigten im bisherigen Ermittlungsverfahren wie auch in früheren Strafverfahren, drohende negative finanzielle (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 12. September 2007 – 4 Ws 305/07 – [juris, Abs. 15]) oder soziale Folgen der vorgeworfenen Tat, aber auch allgemeine kriminalistische Erfahrungen und die Natur des verfahrensgegenständlichen Tatvorwurfs, soweit diese Rückschlüsse auf das Verhalten des Beschuldigten nahe legt (etwa bei Taten, bei denen im Regelfall Auslandskontakte vorliegen, oder in Fällen organisierter Kriminalität; vgl. Graf a.a.O., Rn. 23; Krauß a.a.O., Rn. 14; Lemke in HK-StPO 4. Aufl., § 112 Rn. 26; jeweils m.w.N.), zu berücksichtigen (zu weiteren Prognosekriterien vgl. nur Meyer-Goßner Rn. 20ff.; Wankel Rn. 7; Graf Rn. 22ff.; jeweils a.a.O.).“

Das KG hat im weiteren eine solche Abwägung vorgenommen. Dabei wurde insbesondere darauf abgestellt, dass der Beschwerdeführer bereits 65 Jahre alt und nicht vorbestraft sei, zudem sei er in Berlin fest verwurzelt. Weiterhin stehe er unter regelmäßiger, intensiver ärztlicher Betreuung und halte sich an die Auflage, sich regelmäßig bei der Polizeidienststelle zu melden.
Insgesamt spricht nach Ansicht des KG wenig dafür, dass es überhaupt Anreize zur Flucht gebe. Somit bestehe kein Haftgrund. Daher hat das KG den Haftbefehl aufgehoben.

KG Berlin, Beschluss vom 03.11.2011, Az.: 4 Ws 96/11, 4 Ws 96/11 – 1 AR 58/11

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