Mehrere Tausend Internetnutzer erhielten in der letzten Woche unerfreuliche Post. Eine Rechtsanwaltskanzlei mahnte im Namen ihrer Mandantin angebliche Nutzer der mittlerweile sehr bekannten Porno-Seite Redtube gemäß §§ 97, 97a UrhG ab, weil diese einen Pornofilm gesehen haben sollen. Das Besondere: Die Nutzer sollen den Film nicht per Peer2Peer oder Download vervielfältigt im Sinne des Urheberechts oder kopiert haben, sondern lediglich per Online-Streaming angeschaut haben.
Ist Streamen ein Verstoß gegen das Urhebergesetz (UrhG) und möglicherweise strafbar?
Ob bereits das Anschauen eines Streams eine Straftat darstellen kann, wird kontrovers unter Juristen diskutiert. Grundsätzlich müsste dazu eine Vervielfältigung erfolgen. Ob bereits das Zwischenspeichern im Cache solch eine Vervielfältigung sein kann, ist seit Jahren umstritten. Bei Kinderpornografie wurde für den Besitz von Kindespornografie das Zwischenspeichern im Cache von einigen Oberlandesgerichten bereits bejaht. Der BGH äußerte sich dahingehend, dass ein Besitz zumindest dann vorliegt, wenn der Cache (die zwischengespeicherten Dateien) auf der Festplatte, und nicht nur im RAM, abgelegt wurde und der Beschuldigte sich dessen bewusst ist (BGH, Urteil vom 18. Januar 2012, AZ.: 2 StR 151/11).
Im konkreten Fall könnte es an einer Straftat jedoch daran scheitern, dass es sich möglicherweise um eine Privatkopie handelt. § 53 Abs. 1 UrhG erlaubt nämlich das Vervielfältigen zum privaten Gebrauch. Dazu darf zur Vervielfältigung jedoch keine offensichtlich rechtswidrige Quelle genutzt werden.
Bei RedTube und anderen Porno-Seiten im Internet kann wohl kaum von einer offensichtlich rechtswidrigen Quelle gesprochen werden. Selbst wenn einzelne Werke rechtswidrig auf der Webseite angeboten werden, so ist die Rechtswidrigkeit doch nicht offensichtlich. Viele dieser Pornoseiten werden von Unternehmen betrieben, die auch selbst Pornofilme produzieren und Ausschnitte ihrer Werke auf der eigenen Seite zu Werbezwecken anbieten. Häufig sind es Amateur-Filme oder unkommerzielle Videos in schlechter Qualität. Für den Benutzer der Webseite ist somit kaum zu unterscheiden, ob die Filme nun im Einzelnen mit oder ohne Einwilligung des Rechteinhabers angeboten werden. Bei dem oftmals herangezogenen Vergleich zu Seiten wir beispielsweise kino.to und deren Nachfolgern darf nicht vergessen werden, dass dort Kinofilme oder TV-Serien in oftmals sogar guter Qualität und großer Aktualität angeboten werden, wo jedem klar sein dürfte, dass es sich dort um Raubkopien oder jedenfalls offensichtlich rechtswidrige Inhalte handelt.
Somit würde es, unabhängig von der Frage, ob es überhaupt eine rechtswidrige Vervielfältigung ist, aufgrund des § 53 Abs. 1 UrhG an einer strafbaren Handlung fehlen.
Betrug durch die Abmahnung?
Möglicherweise könnte sich der Abmahner oder gar die abmahnende Anwaltskanzlei des Betrugs (§ 263 StGB) strafbar gemacht haben. Wäre bekannt gewesen, dass kein Anspruch auf Zahlung besteht, wäre das Eintreiber der Forderungen als, möglicherweise sogar bandenmäßiger und/oder gewerbsmäßiger Betrug einzuordnen.
Dazu müsste jedoch der Vorsatz des Betrugs vorhanden gewesen sein. Aufgrund der unsicheren Rechtslage und den unbestimmten Rechtsbegriffen wie „offensichtlich rechtswidrig“ kann aber kaum von einem Vorsatz ausgegangen werden, denn zu Gunsten der potentiellen Beschuldigten müsste dann davon ausgegangen werden, dass sie von der Rechtmäßigkeit der Forderung ausgegangen sind.
So hat auch die Staatsanwaltschaft trotz mehreren Anzeigen zunächst keine Ermittlungen wegen Betrugs gegen die Rechtsanwaltskanzlei oder das abmahnende Unternehmen aufgenommen. Eine Strafbarkeit wegen Betrugs dürfte spätestens am Vorsatz scheitern, ansonsten wäre jeder Anwalt, der eine Forderung geltend macht, die auf unsicherer Rechtslage fußt, gefährdet, sich wegen Betruges strafbar zu machen. Die Staatsanwaltschaft muss nachweisen, dass der abmahnende Rechtsanwalt im konkreten Fall wusste, dass tatsächlich kein Anspruch besteht. Darüber kann im RedTube-Fall nur spekuliert werden.
Strafbarkeit wegen Erpressung?
Grundsätzlich wäre auch an eine Erpressung (§ 253 StGB) zu denken. Der Bundesgerichtshof hat erst kürzlich bestätigt, dass das Einfordern von nicht bestehenden Forderungen und die Drohung mit einer Strafanzeige eine Nötigung (§ 240 StGB) darstellen kann (BGH, Beschluss vom 5. September 2013, Az.: 1 StR 162/13). Es bleibt jedoch die Vorsatzproblematik wie beim Betrug bestehen. Vor allem ist zu bedenken, dass das Urteil des BGHs erst am 11. Dezember 2013 per Pressemitteilung publiziert wurde, die Abmahnungen wurden dagegen bereits einige Tage zuvor rausgeschickt.
Zusätzlich kommt auch das Problem der Verwerflichkeit der Tat hinzu. Zwar liegt in der Regel die Verwerflichkeit gemäß § 253 Abs. 2 StPO wegen des rechtswidrigen Zwecks vor. In diesem speziellen Fall könnte die Feststellung jedoch fraglich sein, denn es wird ja lediglich mit einer gerichtlichen Durchsetzung gedroht.
Trotzdem liegen bei der Staatsanwaltschaft Hamburg Anzeigen wegen einer möglichen Erpressung in einem besonders schweren Fall vor. Auch hier hat die Staatsanwaltschaft nach aktuellem Kenntnisstand noch kein Ermittlungsverfahren eröffnet. Es ist nach hiesiger Auffassung eher unwahrscheinlich, dass der Tatbestand der Erpressung (§ 253 StGB) nachweisbar vorliegt.
Falsche eidesstattliche Versicherung?
Die Staatsanwaltschaft prüft momentan jedoch, ob Ermittlungen wegen falscher Versicherung an Eides Statt (§ 156 StGB) aufgenommen werden. Ein Mitarbeiter des Softwareentwicklers soll nämlich eidesstattlich versichert haben, dass die eingesetzte Software protokollieren kann, ob und wann ein Internetnutzer einen bestimmten Stream angeschaut hat. Aufgrund dieser Versicherung ordnete das Gericht an, dass die Internetprovider die Daten des Anschlussinhabers mitzuteilen haben.
IT-Experten sind skeptisch, ob solch eine Software überhaupt existiert. Momentan deutet vieles darauf hin, dass die IP-Adressen eher durch modifizierte Webseiten abgegriffen wurden, was bis jetzt weder bestätigt noch korrigiert wurde. Angeblich verdichten sich auch die Hinweise, dass es sich bei dem Softwareentwickler lediglich um eine Briefkastenfirma handelt. Sollte sich dies als wahr herausstellen, könnte tatsächlich ein Strafverfahren wegen falscher eidesstattlicher Versicherung auf den Mitarbeiter zukommen.
Verstoß gegen das Datenschutzgesetz (BDSG)?
Immer noch fraglich ist, wie die IP-Adressen der Betroffenen und abgemahnten Nutzer genau durch die Firma erlangt worden sind. Es wird momentan vermutet, dass sogenannter Redirect-Traffic erworben wurde. Dabei klicken User auf ein Vorschaubild auf einer Pornoseite und landen nicht bei der gewünschten Datei, sondern werden auf eine andere Seite weitergeleitet. Hier scheint der Traffic anscheinend auf die Domain retdube.com umgeleitet worden zu sein. Von dieser Seite wurde dann weiter auf die echte Redtube-Seite weitergeleitet.
Der Traffic wurde aber weiterhin von der Webseite „mitgehört“. Dadurch konnte wohl nachvollzogen werden, von welcher IP auf einen Stream zugegriffen wurde. Sollte sich dieses Konstrukt bestätigen, so bestehen doch erhebliche Bedenken bezüglich der Rechtmäßigkeit des Erwerbens der IP-Adressen. Möglicherweise könnten hier sogar Straftatbestände erfüllt sein.
Sollte es sich tatsächlich um eine modifizierte Webseite handeln, die heimlich die Daten der Benutzer mitgeloggt, könnten auch Straftaten aus dem Datenschutzgesetz im Raum stehen. In Frage käme vor allem ein Verstoß gegen §§ 44 Abs. 1, 43 Abs. 2 Nr. 1 BDSG. Dazu müssten persönliche Daten mit Bereicherungsabsicht unberechtigt erhoben worden sein. Bedroht ist dieses Vergehen mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren.
In Deutschland zählen auch IP-Adressen zu den persönlichen Daten. Fraglich ist lediglich, ob die Abmahnung des möglichen Urheberrechtsverstoße ein berechtigtes Interesse sein könnte. Auch stellt sich hier, ähnlich wie beim Betrug, die Frage des Vorsatzes. Ebenfalls kommt es ganz entscheidend auf die konkrete Ausgestaltung der Webseite und/oder Programmes an.
RedTube wehrt sich gerichtlich
Doch auch von anderer Seite droht den Abmahnern Ärger. Denn das Betreiberunternehmen von RedTube hat sich ebenfalls einen Rechtsanwalt genommen. Das Unternehmen hat vor dem Landgericht Hamburg mittlerweile auch eine einstweilige Verfügung gegen das abmahnende Unternehmen erwirkt. Demnach dürfen vorerst keine gleichartigen Abmahnungen mehr verschickt werden.
Zuvor erklärte laut Medienberichten schon das Landgericht Köln, welches die Herausgabe der Anschlussinhaber anordnete, nicht mehr völlig hinter seinen Anordnungen zu stehen. Nach eigenen Angaben hätten einige Kammern mittlerweile Bedenken, ob überhaupt ein strafrechtliches Vorgehen der Abgemahnten vorlag. Auch bezüglich der Ermittlungsmethode der IP-Adresse sind anscheinend Zweifel in Köln aufgekommen.
Viele ungeklärte Rechtsfragen: was zu tun? Abmahnung erhalten?
Sollte die Staatsanwaltschaft tatsächlich ein förmliches Ermittlungsverfahren eröffnen, stehen viele spannende und ungeklärte Rechtsfragen im Raum. Aber auch auf der Tatsachenebene sind noch viele Fragen ungeklärt. Hier bieten sich für einen guten Strafverteidiger einige Verteidigungsmöglichkeiten an. Denn vor allem für die Strafbarkeit des Betrugs oder wegen Verstoßes gegen das Datenschutzgesetz kommt es erheblich darauf an, wie genau die besagten IP-Adressen ermittelt wurden. Darüber hinaus schwebt aber auch immer die Vorsatzproblematik über den Delikten.
Und was sollte der Nutzer tun, der eine Abmahnung erhalten hat? Als Betroffener der Abmahnung sollte sich rechtlicher Rat durch einen Spezialisten eingeholt werden, der die konkrete Abmahnung und Situation prüft und das weitere Vorgehen mit einem bespricht. Im Zweifel sollte jedoch erst einmal nicht die Unterlassungserklärung abgegeben und erst Recht nicht die in der Abmahnung enthaltene „Rechnung“ bezahlt werden. Eine rechtliche Beratung kann nur durch einen Rechtsanwalt, der mit der Sache betraut ist, gewährleistet werden.