Korrigiert ein Zeuge bei falschen Vorhalten seine Aussage, spricht dies möglicherweise für eine Suggestibilität des Zeugens.
Nach einem Dorffest kam es auf dem Heimweg zwischen dem Angeklagten und der mutmaßlich Geschädigten zum Oralverkehr. Dabei wurden die Beiden vom langjährigen Freund der Frau erwischt. Während der Angeklagte von einvernehmlichem Oralverkehr spricht, behauptet die Frau, dass er sie vergewaltigt habe.
Das Landgericht Kassel verurteilte den Angeklagten wegen Vergewaltigung. Hauptsächlich stützte sich die Verurteilung auf die Aussage der Geschädigten. Auch die Aussage des Freundes erschüttert laut Landgericht die Glaubhaftigkeit der Aussage der Geschädigten nicht. Der Zeuge hatte im Prozess ausgesagt, dass die Strumpfhose der Geschädigten, entgegen ihrer eigenen Aussage, heruntergezogen war. Nachdem das Gericht dem Zeugen vorhielt, dass er bei der polizeilichen Vernehmung von einer Leggings sprach, korrigierte er seine Aussage.
Der Bundesgerichtshof (BGH) kritisiert, dass das Landgericht die Aussage des Zeugen als Wahrnehmungsfehler bewertete, obwohl das Aussageverhalten auch für eine Suggestibilität sprechen könnte:
Dabei hat es indes nicht bedacht, dass der Zeuge F. – ausweislich der Urteilsgründe (UA S. 18) – bei der Polizei tatsächlich gar nicht von heruntergezogenen Leggings, sondern – wie auch in der Hauptverhandlung – von einer heruntergezogenen Strumpfhose berichtet hatte. Der ihm von der Strafkammer gemachte Vorhalt entbehrt daher der Grundlage. Vor diesem Hintergrund hätte sich das Landgericht jedoch mit der Frage befassen müssen, ob der im Hinblick auf den unrichtigen Vorhalt vorgenommene Wechsel der Aussage nicht eher für eine gewisse Suggestibilität des Zeugen spricht als für einen Wahrnehmungsfehler.“
Ebenfalls klärt der BGH darüber auf, dass sich eine Leggings von einer Strumpfhose nur am Fußteil unterscheidet. Der Zeuge sagte jedoch aus, dass er anhand des Materials die Unterscheidung vornahm, obwohl beide Bekleidungsstücke aus dem gleichen Stoff hergestellt sein können.
Da diese Mängel möglicherweise die Urteilsbildung beeinflusst haben, hebt der Senat die Verurteilung auf. Insoweit hatte die Revision der Strafverteidigung Erfolg.
BGH, Urteil vom 16. Januar 2013, Az.: 2 StR 299/12