Der Angeklagte ist vom Landgericht Aachen wegen „versuchten Mordes in Tateinheit mit versuchter schwerer räuberischer Erpressung (gemäß §§ 253 Abs. 1, 3, 255, 249, 250 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 3 b StGB) und mit gefährlicher Körperverletzung (gemäß §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 5 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt“ worden.
Gegen das Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision vor dem Bundesgerichtshof (BGH) und kann einen entscheidenden Teilerfolg erzielen.
Der Entscheidung liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Der Angeklagte versteckte sich kurz vor dem Ladenschluss in den Räumlichkeiten eines Einkaufsmarktes. Er plante, sich Geld für den späteren Ankauf von Drogen zu beschaffen. Mit Verwendung seiner scharf geladenen Pistole brachte er daraufhin die Ehefrau des Marktleiters in seine Gewalt und schritt mit ihr sodann in das Büro des Marktleiters, wo dieser gerade die Abrechnung erstellte. Hier forderte er ihn unter Drohung mit dem Tod auf, ihm die Tageseinnahmen herauszugeben. Dieser sprang jedoch entgegen den Erwartungen des Angeklagten auf und griff den Angeklagten an.
Infolgedessen schoss der Angeklagte zwei Mal auf den Marktleiter. Hierbei nahm er dessen Tod billigend in Kauf. Wie das Landgericht feststellte, „ging (es) dem Angeklagten nicht mehr darum, noch Beute zu machen, sondern darum, unentdeckt aus dieser Lage noch zu entkommen“. Bei dem Gefecht konnte der Geschädigte den Angeklagten entwaffnen und bis auf die Straße verfolgen.
Die Annahme, den Angeklagten auch wegen schweren Raubes gemäß § 250 Abs. 2 Nr. 3 b StGB zu verurteilen, hält nach Ansicht des Strafsenats des BGH einer rechtlichen Prüfung aus den folgenden Erwägungen nicht stand:
Nach dieser Vorschrift ist die Tat qualifiziert, wenn der Täter eine andere Person „durch die Tat“ in die (konkrete) Gefahr des Todes bringt. Diese Formulierung weicht von derjenigen des Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 3 Buchst. a („bei der Tat“) ab, entspricht aber der Formulierung des Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c. Für die Fälle des § 250 Abs. 2 Nr. 1 sowie des Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a StGB hat der Bundesgerichtshof bereits entschieden, dass die Qualifikationswirkung jeweils nur dann eintritt, wenn die auf den Qualifikationserfolg gerichteten Handlungen des Täters (noch) Teil „der Tat“, also des auf Verwirklichung des Raubtatbestands (§ 249 StGB) gerichteten Geschehens sind.
Entscheidend für die Qualifikation ist nach Auffassung des Strafsenats, ob der Täter im Zeitpunkt zwischen der Vollendung des Raubs und der Beendigung der Tat mit der Beutesicherungsabsicht handele. So heißt es im Wortlaut des Beschlusses:
Entgegen der in der Literatur vorherrschenden Ansicht hat der Bundesgerichtshof die Qualifikationswirkung in dem Zeitraum zwischen Vollendung des Raubs und Beendigung der Tat (§ 78 a StGB) daher für möglich gehalten, wenn der Täter zu diesem Zeitpunkt zwar nicht mehr mit Wegnahmevorsatz, aber mit der Absicht der Beutesicherung handelt (vgl. BGHSt 53, 234 [zu § 250 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a]; BGHSt 20, 194, 197 [zu § 250 Abs. 1 Nr. 1 a.F.]; BGHSt 52, 376; BGH NStZ-RR 2008, 342 [zu § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB]; Fischer aaO § 250 Rdn. 14, 26 m.w.N.; aA etwa Sander in MüKo-StGB § 250 Rdn. 65; Kudlich in Satzger/Schmitt/Widmaier StGB § 250 Rdn. 27; jew. m.w.N.; vgl. dazu auch Nestler JR 2010, 100 ff.). Auf die Streitfrage, ob die zeitliche Grenze für die Qualifikation schon mit der Vollendung der Tat – entsprechend: mit Fehlschlag des Versuchs – anzunehmen ist, kommt es hier nicht an, wenn eine Qualifikationswirkung nach diesem Zeitpunkt jedenfalls fortbestehende Beutesicherungsabsicht des Täters voraussetzt. Dies ist, soweit ersichtlich, für den Fall des § 250 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b StGB bisher nicht entschieden. Der Senat ist in Übereinstimmung mit dem Generalbundesanwalt der Ansicht, dass ein sachlicher Grund für eine von den anderen genannten Fällen abweichende Auslegung nicht besteht. Auch die qualifizierende Wirkung einer konkreten Lebensgefährdung „durch die Tat“ nach §§ 249, 255 StGB setzt daher jedenfalls voraus, dass die die Lebensgefahr verursachende Handlung (noch) vom Vorsatz der Tatbestandsverwirklichung, nach Vollendung von Beutesicherungsabsicht getragen ist. Im Fall der Lebensgefährdung nach Fehlschlag des Versuchs der räuberischen Erpressung kommt die Anwendung der Qualifikation daher nicht in Betracht, da Beutesicherungsabsicht hier ausscheidet.
Ferner ist zu klären, inwieweit sich der Wandel der Rechtsprechung zum ungeschriebenen Tatbestandsmerkmal der „Beutesicherungsabsicht“ auch auf den Raub mit Todesfolge nach § 251 StGB auswirkt. Hierzu erklärt der Strafsenat:
Soweit Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zu § 251 StGB entnommen werden könnte, dass die Anwendung von § 251 StGB nach Raubvollendung auch dann nicht ausgeschlossen sein soll, wenn der Einsatz nicht mehr der Beutesicherung, sondern (nur noch) der „bloßen Fluchtsicherung“ dient (vgl. BGHSt 38, 295, 299; die Entscheidung spricht an anderer Stelle allerdings von „Flucht- und Beutesicherung“), so kann hier dahinstehen, ob hieran unter Berücksichtigung der neuen Rechtsprechung zu den Qualifikationsfällen des § 250 StGB (sowie auch zu § 176 a Abs. 5 und § 177 Abs. 4 StGB) festzuhalten wäre. Durch die Nichterörterung des § 251 StGB – in der Form des „Versuchs der Qualifikation“ – ist der Angeklagte nicht beschwert.
Im konkreten Fall bedeutet dies, dass der Angeklagte nicht wegen § 250 Abs. 2 Nr. 3b StGB verurteilt werden kann. Dies führt nur noch zu einer Strafbarkeit gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB wegen gefährlicher Körperverletzung. Der Strafspruch ist wegen des Wegfalls der Qualifikation nach § 250 Abs. 2 Nr. 3 b StGB aufzuheben. Insgesamt ist nicht auszuschließen, dass der Tatrichter zu einer milderen Strafe gelangt wäre, so dass nach Zurückverweisung über diesen Punkt neu entschieden werden muss.
Interessant bleibt die Auswirkung dieser Rechtsprechung des 2. Strafsenats des BGH auf die weiteren Qualifikationstatbestände des Raubes.
2. Strafsenat des BGH, Az.: 2 StR 17/10