Zeuge

  • Das freiwillige Einräumen von Falschbeschuldigungen erhöht nicht die Glaubwürdigkeit.

    Dem Angeklagten wurde vorgeworfen, seine Tochter unter dem T-Shirt an die Brust und in die Schlafanzughose im Schambereich gegriffen zu haben. Ebenfalls soll er das Mädchen aufgefordert haben, sich komplett auszuziehen. Dies hatte die Tochter bei der Polizei ausgesagt. In der Hauptverhandlung verweigerten die geschädigte Tochter, ihre Mutter, Großmutter und Schwester die Aussage.

    Bei der ermittlungsrichterlichen Vernehmung zuvor gestand die Tochter, dass die bei der Polizei erhobenen Vorwürfe zum Teil erlogen wären. Dies tat sie, um sich an ihren Vater zu rächen. Trotzdem glaubte das Landgericht Chemnitz der Zeugin in den restlichen Fällen und verurteilte den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten. Dagegen legte die Strafverteidigung die Revision ein.

    Der Bundesgerichtshof (BGH) stellt fest, dass bei einer „Aussage gegen Aussage“-Situation das urteilende Gericht alle Umstände, die für die Entscheidung erheblich sind, einbeziehen muss. Das Landgericht wertete die Angabe des Mädchens so, dass es teilweise gelogen hatte, so dass dadurch erst recht die Glaubwürdigkeit bezüglich der restlichen Vorwürfe steigen würde. Dies sieht der BGH anders:

    „Diese Erwägungen greifen zu kurz. Die – vom Landgericht unterstellte – Lüge gerade hinsichtlich der gewichtigsten bei der Polizei erhobenen Vorwürfe stellte die Glaubhaftigkeit der Aussage der Zeugin insgesamt in schwerwiegender Weise in Frage. Das Landgericht hat schon nicht geprüft, ob das Motiv der Rache auch für eine mögliche Falschbelastung des Angeklagten im Verurteilungsfall in Betracht kam. Wesentlich erschwerend tritt hinzu, dass das Tatgericht sich keinen unmittelbaren Eindruck von der Zeugin verschaffen und eine fundierte Glaubhaftigkeitsprüfung auf der Grundlage aussagepsychologischer Methoden nicht durchführen konnte, da hierfür im Hinblick auf die Geltendmachung des Zeugnisverweigerungsrechts durch die Zeugin zu wenig Aussagematerial zur Verfügung stand.“

    Daher hätten weitere Gründe für die Glaubwürdigkeit der Zeugin vorliegen müssen. Diese hat das Landgericht in seiner Urteilsbegründung jedoch nicht erwähnt. Der BGH geht nicht davon aus, dass ein neues Tatgericht zu einer Verurteilung des Angeklagten gelangen könnte. Aus diesem Grund hat die Revision der Strafverteidigung Erfolg und der Angeklagte wird vom Senat freigesprochen.

    BGH, Beschluss vom 12. September 2012, Az.: 5 StR 401/12

  • Der seit September 2010 laufende Prozess in Stuttgart gegen das ehemalige RAF-Mitglied Verena Becker ist nun beendet und ein Urteilsspruch erfolgt: Die 59-jährige Frau wurde wegen Beihilfe zum Mord an dem damaligen Generalstaatsanwalt Siegfried Buback im Jahre 1977 zu einer Haft von vier Jahren verurteilt, wovon zweieinhalb Jahre als bereits verbüßt gelten.

  • Das Landgericht Kiel hat einen ehemaligen Anhänger der Rocker-Szene unter anderem wegen Menschenhandels zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung, Zuhälterei, schwerer Körperverletzung sowie versuchter Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und vier Monaten verurteilt.

    Nach den Feststellungen des Gerichts war er Angeklagte für Angriffe auf ehemalige Mitglieder oder Mitglieder anderer Gruppierungen mitverantwortlich. Zudem soll er zwei Frauen der Prostitution zugeführt haben.
    Im Prozess sagte der Angeklagte über innere Strukturen der Hells Angels aus. Seine Aussagen führten unter anderem zu großen Razzien. Aus diesem Grund befindet sich der Angeklagte momentan im einen Zeugenschutzprogramm.
    Die Staatsanwaltschaft hatte zuvor eine Freiheitsstrafe von vier Jahren gefordert. Die Strafverteidigung forderte eine Strafe von maximal drei Jahren, insbesondere wegen seiner Rolle als Hauptbelastungszeuge.

    ( Quelle: Hamburger Abendblatt online vom 15.06.2012 )


  • Das Landgericht Hamburg hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen Hehlerei zu einer zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt.
    Nach den Feststellungen des Landgerichts traf der Angeklagte mit dem Zeugen zusammen, wobei dieser ihm zwei Markenuhren ohne Zertifikate oder andere Eigentumsnachweise übergab. Der Angeklagte sollte die Uhren für den Zeugen in Kommission verkaufen. Er hielt es nach Auffassung des Landgerichts zumindest für möglich, dass die Uhren deliktischer Herkunft sein könnten.

  • Das Landgericht Erfurt hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in acht Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt und ihn im Übrigen freigesprochen.

    Nachdem der BGH das Urteil in der Revision aufgehoben hat, hatte eine andere Strafkammer des Landgerichts Erfurt ihn wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zwei Monaten verurteilt und ihn im Übrigen freigesprochen.

    Hiergegen wendet sich der Angeklagte (erneut erfolgreich) mit der Revision.

  • Das Landgericht Limburg an der Lahn hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt und angeordnet, dass drei Monate der Gesamtfreiheitsstrafe als vollstreckt gelten. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten.

  • LG Dresden: Beschluss vom 22.11.2011, Az.: 14 KLs 204 Js 41068/08 (2)

    Die Staatsanwalt Dresden ordnete eine körperliche Untersuchung des verletzten Zeugen an, welcher sich in stationärer Behandlung befand. Der Zeuge wurde daraufhin durch einen Rechtsmediziner bei Anwesenheit zweier Polizeibeamter untersucht. Die Verletzungen wurden fotografisch dokumentiert. Vor der Untersuchung hatten die Beamten den Zeugen lediglich mit der staatsanwaltschaftlichen Anordnung konfrontiert, ihn aber nicht über das Recht, die Mitwirkung an einer Untersuchung zu verweigern, belehrt.

    Der Zeuge hatte die behandelnden Ärzte ausdrücklich nicht von der Schweigepflicht entbunden und stimmte im Prozess der Verwertung der Informationen ebenfalls nicht zu. Nichtsdestotrotz wurden die Informationen im Verfahren verwertet. Dies führte zu einer Verurteilung des Angeklagten.
    Das Landgericht hatte zu klären, ob hier ein Verstoß gegen den Richtervorbehalt aus § 81c StPO vorliegt:

    „Auch wenn die Vorschrift des § 81c StPO grundsätzlich den Rechtskreis des Angeklagten nicht berührt, so ist der Verstoß gegen § 81c Abs. 5 StPO in diesem Fall derart schwerwiegend, dass er nach Überzeugung der Kammer zu einem Beweisverwertungsverbot führt. Der strafprozessual zum Schutz der Grundrechte des Zeugen vorgesehene Richtervorbehalt würde leerlaufen, wenn das schlichte und somit objektiv willkürliche Ignorieren der gesetzlichen Eingriffsvoraussetzungen nicht zu einem Verwertungsverbot führen würde. Dieses erstreckt sich wegen des untrennbaren Zusammenhangs auch auf die bei der Untersuchung gefertigten Lichtbilder und die unmittelbar dabei gewonnenen persönlichen Eindrücke. “

    Folglich liegt hier nach Ansicht des Landgerichts eine Unverwertbarkeit der auf Grundlage der staatsanwaltschaftlichen Anordnung nach § 81c Abs. 5 StPO durchgeführten rechtsmedizinischen Untersuchung und der dabei gewonnenen Erkenntnisse vor. Hier geht es zwar um die Untersuchung eines Zeugen und nicht des Angeklagten – nichtsdestotrotz führt dies nach Auffassung des Gerichts zu einem Beweisverwertungsverbot zu Gunsten des Angeklagten, auch wenn dessen Rechtskreis durch die Untersuchung nicht betroffen ist.


  • BGH, Beschluss vom 09.08.2011, Az.: 4 StR 367/11

    Nach den Feststellungen des Landgerichts München I forderte der Angeklagte die Zeugin A. auf, ihm ein I-Phone herauszugeben, welches er ihr einige Zeit zuvor geliehen hatte. Ebenfalls anwesend war der Zeuge S. Der Angeklagte fand das I-Phone nicht und beleidigte die Zeugin. Anschließend zog er eine geladene Schreckschusspistole aus dem Hosenbund und richtete sie auf den Unterkörper des Zeugen. Er forderte ihn auf zu gehen, um mit der Zeugin A. alleine reden zu können. Diese bat ihn aufzuhören und drückte seine Hand nach unten. Daraufhin steckte der Angeklagte die Schreckschusspistole wieder in seinen Hosenbund.

  • Zur vermeintlichen Strafe bei falscher uneidlicher Aussage (hier Zeugenaussage im Disziplinarverfahren) an einer zur eidlichen Vernehmung ungeeigneten Stelle:

    Gegen den Antragssteller wurde ein Disziplinarverfahren unter dem Vorwurf eingeleitet, Mitarbeiterinnen durch sexuelle Äußerungen beleidigt zu haben. In diesem Disziplinarverfahren wurde B. als Zeuge gehört.

    Danach erstattete der Antragssteller Anzeige gegen B. – dieser habe sich gemäß § 153 StGB der falschen uneidlichen Aussage schuldig gemacht.

    Die Staatsanwaltschaft erhob daraufhin Anklage zum Amtsgericht.

  • Quelle: Pressemitteilung des BGH Nr. 008/2012 vom 19.01.2012

    Die Beugehaft gegen die Zeugin Christa Eckes im Strafverfahren gegen die mutmaßliche RAF-Mitwirkende Verena Becker wird auf dessen Beschwerde hin aufgehoben. Diese war zu einer Zeugenaussage nicht bereit.

    Pressemitteilung:

    Beugehaft im Strafverfahren gegen Verena Becker aufgehoben

    Der Bundesgerichtshof hat auf die Beschwerde der Zeugin Christa Eckes die Anordnung der Beugehaft aufgehoben, die das Oberlandesgericht Stuttgart in dem Strafverfahren gegen Verena Becker gegen die Zeugin verhängt hatte, da diese nicht zur Aussage bereit war.

    Der Generalbundesanwalt wirft der Angeklagten Becker vor, an der Ermordung des damaligen Generalbundesanwalts Buback und dessen Begleiter Göbel und Wurster am 7. April 1977 beteiligt gewesen zu sein. In diesem Verfahren sollte die Zeugin [Eckes] insbesondere zum Inhalt von Gesprächen mit der Angeklagten im Jahre 2008 aussagen. Sie hat jedoch das Zeugnis mit der Begründung verweigert, ihr stehe ein Auskunftsverweigerungsrecht zu, weil sie sich durch ihre Antworten möglicherweise selbst der Gefahr einer Strafverfolgung aussetze. Das Oberlandesgericht hat ein solches Recht nicht anerkannt und gegen die Zeugin zur Erzwingung einer Aussage Beugehaft bis zur Dauer von sechs Monaten angeordnet.

    Diesen Beschluss hat der für Staatsschutzstrafsachen zuständige 3.
    Strafsenat des Bundesgerichtshofs aufgehoben. Er hat dabei offen gelassen, ob der Zeugin ein Auskunftsverweigerungsrecht zusteht; die Anordnung der Beugehaft verstoße jedenfalls gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

    Die Zeugin ist derzeit schwer erkrankt. Ausweislich eines fachärztlichen Attests sind sowohl die Erkrankung als auch die durchzuführenden Therapiemaßnahmen lebensbedrohend und erfordern die Behandlung in einer spezialisierten Krankenhausabteilung mit Intensivstation. Bei einer Verlegung in eine Justizvollzugsanstalt oder ein Justizvollzugskrankenhaus ist ernsthaft zu befürchten, dass die Zeugin ihr Leben einbüßen oder zumindest einen weitergehenden schwerwiegenden Schaden an ihrer Gesundheit nehmen wird.

    Unter diesen Umständen muss das ­ als solches anzuerkennende – Interesse an der möglichst vollständigen Aufklärung der Tat zurücktreten. Die gerichtliche Fürsorgepflicht gegenüber der Zeugin gebietet es, bereits von der Anordnung der Beugehaft abzusehen. Diese bewirkt hier einen schweren Eingriff in die durch das Grundgesetz geschützten Rechte der Zeugin auf Freiheit sowie auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Auch deren Schutz ist dem Staat aufgegeben. Der Zweck des Strafverfahrens würde daher verfehlt, wenn es den Strafverfolgungsorganen gestattet wäre, unbegrenzt in andere Individual- oder Gemeinschaftsrechtsgüter einzugreifen. Deshalb gilt ­ auch in Fällen sehr schwerer Straftaten wie terroristisch motivierter Tötungsdelikte ­ der Grundsatz, dass die Wahrheit nicht um jeden Preis ­
    hier: um den Preis der hohen Gefährdung des Lebens einer schwer erkrankten Zeugin ­ erforscht werden darf.

    Strafprozessordnung § 70 Abs. 2

    Grundgesetz Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und 2

    Bundesgerichtshof – Beschluss vom 10. Januar 2012 ­ StB 20/11

    Oberlandesgericht Stuttgart – Beschluss vom 1. Dezember 2011 ­ 6-2 StE 2/10

    Karlsruhe, den 19. Januar 2012


Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht -
Strafverteidiger Dr. jur. Sascha Böttner

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