Lässt das Gericht es offen, ob ein Schuss gerechtfertigt war, dann darf es diesen nicht bei der Strafzumessung berücksichtigen.
Der 1935 geborene Angeklagte war seit längerem mit seiner Schwester im Streit. Am Tattag ging er zum Anwesen seiner Schwester und nahm dabei einen Revolver mit, für den er keine Erlaubnis besaß. Ob bereits zu diesem Zeitpunkt eine Tötungsabsichten bestanden, konnte das Landgericht Stade nicht aufklären. Als der Angeklagte das Anwesen betrat, begegnete ihm der Lebensgefährte seiner Schwester. Nach wechselseitigen Beleidigungen ergriff der Lebensgefährte einen 1,90m großen Holzbalken und bedrohte damit den Angeklagten.
Nach Feststellung des Landgerichts soll der Angeklagte dann zweimal den Lebensgefährten zum Ablegen des Holzbalkens aufgefordert haben, sonst „würde es knallen“. Als der Mann den Holzbalken nicht niederlegte, stellte der Angeklagte seine Gehstütze an der Hauswand ab, ergriff seine Waffe und schoss auf den Lebensgefährten seiner Schwester. Dabei soll er den Tod billigend in Kauf genommen haben. Der Lebensgefährte sackte daraufhin bewusstlos zusammen. Als der Angeklagte zum Verletzten kam, sah er, dass dieser noch lebte. Obwohl der Angeklagte davon ausging, dass die Verletzungen bereits tödlich sein werden, gab er einen weiteren Schuss auf den Kopf des Mannes ab, der dann unmittelbar zum Tod führte.
Das Landgericht Stade verurteilte den Mann wegen Totschlags zu sieben Jahren Freiheitsstrafe. Dabei beschäftigte sich das Gericht nicht mit der Frage, ob der Angeklagte beim ersten Schuss in Notwehr handelte. Es stellte fest, dass zumindest der zweite Schuss den Tatbestand erfüllte. Bei der Strafzumessung wertete das Landgericht jedoch strafschärfend, dass der Angeklagte zwei Schüsse abgab. Gegen das Urteil wehrt sich die Strafverteidigung erfolgreich mittels der Revision. Der Bundesgerichtshof (BGH) führt dazu aus:
„Die Strafkammer hat sowohl bei der Strafrahmenwahl als auch bei der Strafzumessung im engeren Sinne zum Nachteil des Angeklagten berücksichtigt, dass er zwei Schüsse auf sein Opfer abgegeben hat. Damit hat es aber den ersten Schuss als straferschwerend bewertet, obgleich dieser möglicherweise durch das Notwehrrecht des Angeklagten gerechtfertigt war.“
Aus diesem Grund wird das Urteil im Strafausspruch mit den Feststellungen bis zum ersten Schuss aufgehoben.
BGH, Beschluss vom 14. November 2012, Az.: 3 StR 368/12