BGH: Zur Beweiswüdigung einer Wahllichtbildvorlage

Das Landgericht Essen hat die Angeklagten vom Vorwurf der gemeinschaftlichen räuberischen Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Hiergegen wendet sich der Nebenkläger mit seiner Revision.

Laut Anklage war den Nebenkläger von insgesamt vier Tätern in seinem Wohnmobil überfallen worden.

Das mutmaßliche Opfer erstattete noch in der Tatnacht Anzeige, konnte die Verdächtigen allerdings nicht beschreiben. Bei der Vorlage von Bildern erkannte er hingegen zwei der Angeklagten, zuvor war ihm allerdings mitgeteilt worden, dass sich in jeder Bildserie das Bild eines Verdächtigen findet (sog. sequentielle Wahllichtbildvorlage).

Das Landgericht hatte bis zum Ende Zweifel an der Täterschaft der Angeklagten.

Der BGH betonte zwar, dass das Revisionsgericht die Täterschaft grundsätzlich nicht prüfe, kritisierte im vorliegenden Fall allerdings die Beweiswürdigung des Landgerichts:

„Entgegen der Ansicht der Revision hat die Strafkammer in den Urteilsgründen zwar noch hinreichend dargelegt, auf welche Weise die sog. sequentielle Wahllichtbildvorlage mit dem Nebenkläger durchgeführt wurde (vgl. dazu nur Senatsbeschluss vom 27. Februar 1996 – 4 StR 6/96, NStZ 1996, 350 m.w.N.). Die Wertung der Strafkammer, die von dem Nebenkläger bei dieser Lichtbildvorlage gezeigte Wiedererkennungsleistung sei in ihrem Beweiswert schon deshalb gemindert, weil dem Zeugen vor Durchführung der Vorlage mitgeteilt worden sei, in jeder der beiden Lichtbildserien befinde sich das Bild eines Tatverdächtigen, vermag der Senat nicht zu teilen.

Es trifft zwar zu, dass die Ermittlungsbehörden bei Wahllichtbildvorlagen wie auch bei Wahlgegenüberstellungen alles zu unterlassen haben, was den jeweiligen Zeugen in seiner Unvoreingenommenheit beeinflussen kann. Danach versteht es sich von selbst, dass Kommentare seitens der Vernehmungsbeamten aus Anlass der Vorlage einzelner Lichtbilder das Ergebnis einer Wiedererkennungsleistung ebenso entscheidend entwerten können wie die fehlerhafte Ausgestaltung von Lichtbildbögen (vgl. nur BGH, Beschluss vom 7. Januar 1993 – 4 StR 588/92, StV 1993, 234 [Beamter weist auf das Lichtbild des Verdächtigen besonders hin]; BGH, Urteil vom 19. November 1997 – 2 StR 470/97, NStZ 1998, 266 [Bild des Verdächtigen größer als die anderen]). So liegt der Fall hier aber nicht. Das Landgericht stützt seine Annahme, der Nebenkläger sei suggestiv beeinflusst worden, allein auf die ihm von dem Vernehmungsbeamten gegebene Information, in jeder Bildserie befinde sich das Bild eines der Verdächtigen (ebenso wohl OLG Karlsruhe, Beschluss vom 17. März 1983 – 3 HEs 77/83, NStZ 1983, 377). Eine solche Mitteilung stellt jedoch noch keine unzulässige Suggestion des betroffenen Tatzeugen dar, es sei denn, dass die Unbefangenheit des Zeugen beim Wiedererkennungsvorgang durch Hinzutreten besonderer Umstände unsachgemäß in eine bestimmte Richtung gelenkt wird. Auch im vergleichbaren Fall der Wahlgegenüberstellung wird deren Beweiswert nicht schon dadurch gemindert oder in Frage gestellt, dass der Zeuge, sei es mit oder ohne eine entsprechende Information, weiß oder jedenfalls davon ausgeht, dass sich unter den Auswahlpersonen auch die Person des Tatverdächtigen befindet.“

Damit verkennt das Landgericht nach Ansicht des BGH den Beweiswert der sequentiellen Wahllichtbildvorlage bzw. der Leistung des Nebenklägers bei der Erkennung der Angeklagten. Der Nebenkläger hat die mutmaßlichen Täter (teilweise) sowohl bei der Polizei als auch in der Hauptverhandlung erkannt. Dass die Beamten den Nebenkläger zuvor darauf hingewiesen haben, dass je ein Bild der Serie einen Verdächtigen zeigt, ändert daran grundsätzlich nichts, auch wenn eine Beeinflussung des Zeugen zu unterlassen ist.

BGH, Urteil vom 14.04.2011, Az.: 4 StR 501/10

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