Sicherungsverwahrung

  • Das Landgericht Dortmund hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt, die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und bestimmt, dass zwei Jahre und drei Monate der Freiheitsstrafe vor der Unterbringung zu vollziehen sind.

    Der BGH hat dabei die vom Landgericht vorgenommene Bestimmung der Dauer des Vorwegvollzugs der Maßregel kritisiert:

  • BGH, Beschluss vom 13.09.2011, Az.: 5 StR 189/11

    Das Landgericht Dresden hat den Angeklagten wegen schweren sexueller Missbrauchs von Kindern in 13 Fällen sowie sexuellen Missbrauchs von Kindern in fünf Fällen, jeweils in Tateinheit mit sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Ferner hat das sachverständig beratene Landgericht die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Gegen diese

    Entscheidung wendet sich der Angeklagte mit der Revision.

    Nach den Feststellungen des Landgerichts nahm der Angeklagte in der Zeit von Ende 2000 bis Anfang 2010 an vier Kindern – zwei Jungen und zwei Mädchen – im Alter zwischen sechs und 13 Jahren unterschiedlich intensive Sexualhandlungen vor. Die Kinder waren ihm anvertraut und lebten in seinem Haushalt.

    Der Angeklagte rügte, dass die Kammer falsch besetzt war, da die Hauptverhandlung nur mit zwei Berufsrichtern durchgeführt wurde.

    Dazu der BGH:

    „Gemäß § 76 Abs. 2 Satz 1 GVG hat die große Strafkammer die Entscheidung, dass sie die Hauptverhandlung in reduzierter Besetzung durchführt, bei der Eröffnung des Hauptverfahrens zu treffen. Eine Besetzungsentscheidung kann grundsätzlich nicht mehr geändert werden, wenn sie im Zeitpunkt ihres Erlasses gesetzesgemäß war; eine nachträglich eingetretene Änderung des Umfangs oder der Schwierigkeit der Sache ist deshalb regelmäßig nicht geeignet, eine der geänderten Verfahrenslage angepasste neue Besetzungsentscheidung zu veranlassen (vgl. BGH, Urteil vom 23. Dezember 1998 – 3 StR 343/98, BGHSt 44, 328, 333, und Beschlüsse vom 14. August 2003 – 3 StR 199/03, NJW 2003, 3644, 3645, und vom 29. Januar 2009 – 3 StR 567/08, BGHSt 53, 169). Hierdurch wird – de lege lata auch im Einklang mit § 6a StPO – sichergestellt, dass Verfahrensbeteiligte nicht durch entsprechende Antragstellungen nach einer einmal gefassten Besetzungsentscheidung Einfluss auf die Schwierigkeit und den Umfang der Sache und damit auf die Bestimmung des gesetzlichen Richters nehmen können (vgl. BGH, Urteil vom 23. Dezember 1998 aaO).

    Nur ausnahmsweise kann der Grundsatz der Unabänderlichkeit der Besetzungsentscheidung durchbrochen werden. Solches regelt § 222b StPO bei einem begründeten Besetzungseinwand (vgl. dazu insbesondere BGH, Beschluss vom 29. Januar 2009 – 3 StR 567/08, BGHSt 53, 169) oder § 76 Abs. 2 Satz 2 GVG für Fälle der Zurückverweisung einer Sache durch das Revisionsgericht. Die Besetzungsentscheidung kann schließlich vom Gericht – vor Eintritt in die Hauptverhandlung – korrigiert werden, wenn sie nach dem Stand der Beschlussfassung sachlich gänzlich unvertretbar und damit objektiv willkürlich getroffen worden war (vgl. BGH, Beschluss vom 31. August 2010 – 5 StR 159/10, BGHR GVG § 76 Abs. 2 Besetzungsbeschluss 8).“

    „Die Rüge bleibt hier aber wegen des fehlenden Besetzungseinwands nach § 222b StPO präkludiert. Die mögliche Anordnung der Sicherungsverwahrung war angesichts der Vielzahl und Schwere der angeklagten Taten und ihrer Begehung zum Nachteil mehrerer Kinder für alle Verfahrensbeteiligten ungeachtet fehlender Ausführungen in der Anklageschrift und im Eröffnungsbeschluss ersichtlich auch nicht etwa fernliegend; neue Vorwürfe, etwa im Wege einer weiteren Verfahrensverbindung, sind nicht Verfahrensgegenstand geworden. Der Senat kann es deshalb dahinstehen lassen, ob – mit dem Revisionsvorbringen – eine derart veränderte Verfahrenslage während laufender Hauptverhandlung überhaupt eine nachträgliche Korrektur der ursprünglichen Besetzungsentscheidung ermöglichen, etwa über eine unerlässliche Aussetzung der Hauptverhandlung nach § 265 Abs. 3 StPO erzwingen kann.“

    Der BGH stellt klar, dass die Besetzungsentscheidung grundsätzlich nicht mehr geändert werden kann, sofern sie rechtmäßig war. Dieser Grundsatz könne nur in Ausnahmefällen durchbrochen werden. Bei der Anordnung der Sicherungsverwahrung bedürfe es aber gerade grundsätzlich wegen der besonderen Schwere des Eingriffs in die Grundrechte einer zwingenden Besetzung der Schwurgerichtskammer mit drei Berufsrichtern. Allerdings sei die Rüge hier präkludiert.

    In der Sache hatte die Revision dennoch Erfolg, da die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach Ansicht des BGH nicht ausreichend begründet war.

    Daher wurde das Urteil des Landgerichts Dresden im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Der BGH betonte zudem noch, dass das neue Tatgericht nun nahe liegend in der Besetzung mit drei Berufsrichtern entscheiden müsse.


  • BGH, Beschluss vom 26.10.2011, Az.: 2 StR 328/11

    Das Landgericht Darmstadt hat den Angeklagten wegen Verbreitens kinderpornografische Schriften in 22 Fällen und wegen Besitzes kinderpornografischer Schriften zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Gegen diese Entscheidung wendet sich der Angeklagte mit der Revision.

    „Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 ist die Vorschrift des § 66 StGB verfassungswidrig und gilt nur vorläufig bis zur Neuregelung durch den Gesetzgeber weiter. Während der Dauer seiner Weitergeltung muss der Tatsache Rechnung getragen werden, dass es sich bei der Sicherungsverwahrung in ihrer derzeitigen Ausgestaltung um einen verfassungswidrigen Eingriff in das Freiheitsrecht handelt. Nach der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts darf die Regelung der Sicherungsverwahrung nur nach Maßgabe einer „strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung“ angewandt werden. Das gilt insbesondere im Hinblick auf die Anforderungen an die Gefahrprognose und die gefährdeten Rechtsgüter. In der Regel wird der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei einer Anordnung der Sicherungsverwahrung nur gewahrt sein, wenn eine Gefahr schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder in dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist. Insoweit gilt in der Übergangszeit ein gegenüber der bisherigen Rechtsanwendung strengerer Verhältnismäßigkeitsmaßstab (Senat, Urteil vom 7. Juli 2011 – 2 StR 184/11; BGH, Urteil vom 7. Juli 2011 – 5 StR 192/11; Beschluss vom 4. August 2011 – 3 StR 235/11).
    Jedenfalls nach diesem Maßstab hat das Landgericht weder einen Hang zur Begehung erheblicher Straftaten im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB noch eine daran anknüpfende zukünftige Gefährlichkeit des Angeklagten tragfähig begründet. Das Landgericht hat nicht näher dargelegt, auf welche konkreten „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung von Kindern“ (UA S. 52, 55) sich der Hang des Angeklagten bezieht und welche solcher Straftaten von ihm mit welcher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sind. Damit genügen die Entscheidungsgründe nicht den Darstellungsanforderungen, die von der Rechtsprechung an die Beurteilung des Hangs und an die Gefährlichkeitsprognose gestellt werden, um eine revisionsgerichtliche Nachprüfbarkeit der vom Tatrichter vorzunehmenden Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten zu ermöglichen (BGH, Beschluss vom 27. September 1994 – 4 StR 528/94, NStZ 1995, 178; Beschluss vom 30. März 2010 – 3 StR 69/10, NStZ-RR 2010, 203; Beschluss vom 15. Februar 2011 – 1 StR 645/10, NStZ-RR 2011, 204; Beschluss vom 2. August 2011 – 3 StR 208/11).
    Soweit die Strafkammer vor dem Hintergrund der Anlasstaten auf die fest verwurzelte pädophile Neigung des Angeklagten und auf eine verharmlosende Haltung zur Kinderpornografie abgestellt hat, deren Konsum ihn eigenen Angaben zufolge von sexuellen Übergriffen auf Kinder abgehalten habe, mag dies einen Hang zu Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach der Art und mit dem Gewicht der Anlasstaten gemäß § 184b Abs. 1 und 2 StGB  belegen. Derartige Delikte des Umgangs mit Kinderpornografie, dessen Strafbarkeit nach dem gesetzlichen Regelungszweck des § 184b StGB darauf abzielt, der mittelbaren Förderung des sexuellen Missbrauchs von Kindern entgegenzuwirken (vgl. Fischer, StGB 58. Aufl., § 184b Rn. 2), sind allerdings nicht als ausreichend schwere (Sexual-)Straftaten anzusehen, auf die sich nach der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts der kriminelle Hang im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB aF beziehen muss.
    Für einen Hang des Angeklagten auch zu erheblichen Straftaten des sexuellen Missbrauchs von Kindern ließen sich zwar die vom Landgericht gewürdigten Vortaten anführen, zu denen auch Fälle des sexueller Missbrauchs von Kindern gemäß § 176a Abs. 2 StGB zählten, die grundsätzlich „schwere Sexualstraftaten“ im Sinne der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts darstellen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 2. August 2011 – 3 StR 208/11 und vom 11. August 2011 – 3 StR 221/11). Die letzten dieser Taten lagen jedoch über zwölf Jahre zurück. Das darin vom Landgericht erkannte, aber ohne Bedeutung für die Gefährlichkeitsprognose erachtete „Abschwächen der Deliktsintensität“ (UA S. 55, 59) hätte bereits bei der für das Vorliegen eines Hangs vorzunehmenden Gesamtwürdigung aller konkreten Umstände berücksichtigt werden müssen, die für die Beurteilung der Persönlichkeit des Angeklagten und seiner Taten maßgebend sind.“

    Aus diesen Gründen hat der BGH das Urteil des Landgerichts aufgehoben. Zwar lägen die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung vor, allerdings seien die materiellen Voraussetzungen nicht ausreichend dargelegt. Das Landgericht habe eine ausführliche Abwägung vornehmen müssen. Insbesondere seien die Anforderungen an die Beurteilung des „Hangs“ und an die sogenannte Gefährlichkeitsprognose nicht erfüllt, wodurch der BGH die Überlegungen des Tatgerichts nicht ausreichend überprüfen kann.


  • BGH, Beschluss vom 25.05.2011, Az.: 2 StR 585/10

    Das Landgericht Mainz hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, in einem Fall in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und zehn Monaten verurteilt. Im Prozess wurde ein Gutachten zur Steuerungsfähigkeit des Angeklagten erstellt. Danach war seine Steuerungsfähigkeit nicht erheblich beeinträchtigt. Zudem wurde seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Gegen diese Entscheidung legte der Angeklagte Revision ein.

    Der BGH hat zwar den Schuldspruch nicht beanstandet. Allerdings…

    „…hat das Landgericht zu Unrecht angenommen, es sei unbedenklich, dass die unter anderem mit der Schuldfähigkeitsbegutachtung beauftragte psychiatrische Sachverständige Dr. K.      die Durchführung einer Exploration des Angeklagten „einer erfahrenen Hilfskraft mit der Qualifikation einer Diplom-Psychologin übertragen“ hat. Ein gerichtlich bestellter Sachverständiger hat die Pflicht zur persönlichen Gutachtenerstattung. Es besteht daher ein Delegationsverbot, soweit durch Heranziehung anderer Personen die Verantwortung des Sachverständigen für das Gutachten in Frage gestellt wird (vgl. Schmid, Krank oder böse? Die Schuldfähigkeit und die Sanktionenindikation dissozial persönlichkeitsgestörter Straftäter und delinquenter „Psychopaths“ sowie die Zusammenarbeit von Jurisprudenz und Psychiatrie bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit, 2009, S. 479; Schnoor, Beurteilung der Schuldfähigkeit – eine empirische Untersuchung zum Umgang der Justiz mit Sachverständigen, 2009, S. 125 ff.; Ulrich, Der gerichtliche Sachverständige, 12. Aufl., Rn. 337; s. auch § 407a Abs. 2 Satz 1 ZPO). Das Gutachten eines psychiatrischen Sachverständigen muss – jedenfalls soweit dies überhaupt möglich ist (vgl. BGHSt 44, 26, 32) – eine Exploration des Probanden durch den Sachverständigen einschließen. Dabei handelt es sich um die zentrale Untersuchungsmethode. Deren Ergebnisse kann der gerichtliche Sachverständige nur dann eigenverantwortlich bewerten, wenn er sie selbst durchgeführt oder zumindest insgesamt daran teilgenommen hat. Dies gilt erst recht, wenn bei der Exploration auch Mimik und Gestik des Probanden aufgefasst werden. Eine Delegation der Durchführung dieser Untersuchung an eine Hilfsperson scheidet daher aus. Die Anwesenheit des Sachverständigen in der Hauptverhandlung vermag die eigene Exploration nicht zu ersetzen.“

    „Der Katalog der Straftaten, deren Begehung zur Anordnung oder zum Vorbehalt dieser Maßregel der Besserung und Sicherung führen kann, ist durch das Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22. Dezember 2010 (BGBl. I S. 2300) mit Wirkung vom 1. Januar 2011 neu gefasst worden. Zu diesem gehört das unerlaubte Handeltreiben mit Betäubungsmitteln nicht, soweit die Tat nicht im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist (§ 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. b, Abs. 2 und 3 Satz 1 StGB). Gemäß Art. 316e Abs. 2 EGStGB ist das neue Gesetz für vor seinem Inkrafttreten begangene und noch nicht rechtskräftig abgeurteilte Taten maßgeblich, wenn es gegenüber der bisherigen Rechtslage milder ist (vgl. Senat, Beschluss vom 12. Januar 2011 – 2 StR 642/10). Diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Der Senat hat daher entsprechend § 354a i.V.m. § 354 Abs. 1 StPO in der Sache entschieden und angeordnet, dass die Maßregel entfällt.“

    Damit stellt der BGH klar, dass ein vom Gericht bestellter Sachverständiger die Pflicht zur persönlichen Gutachtenerstattung hat. Er könne diese Aufgabe in aller Regel nicht delegieren. Zudem hat der BGH in dieser Entscheidung betont, dass der Tatrichter das Gutachten selbstständig bewerten muss und sich gegebenenfalls auch sachkundig machen muss, sofern dies zum Beispiel für das Verständnis eines Gutachtens erforderlich ist. Nichtsdestotrotz hat der BGH die Verurteilung nicht aufgehoben, da ausgeschlossen wurde, dass das Urteil des Landgericht auf den genannten Rechtsfehlern beruht. Lediglich die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung wurde aufgehoben, da sie aus Gründen des materiellen Rechts keinen Bestand hatte.


  • BGH, Urteil vom 04.08.2011, Az.: 3 StR 175/11

    Nach den Feststellungen des Landgerichts Aurich zwang der Angeklagte die Nebenklägerin im Mai 2009 durch erhebliche, zum Verlust von Zähnen führende Gewalt zuerst zum Oralverkehr und sodann zum Geschlechtsverkehr.

    Nach einer Trennung „passte“ der Angeklagte sie Ende Mai / Anfang Juni in den Abendstunden auf einem Spaziergang „ab“ und zwang sie unter Todesdrohungen und Einsatz einfacher körperlicher Gewalt in einem Waldstück erneut zum Geschlechtsverkehr.

    Im Juli 2010 überraschte der Angeklagte die Nebenklägerin erneut auf einem Abendspaziergang. Er zwang sie, indem er sie bis zur Luftnot würgte und mit dem Tod bedrohte, zur Herausgabe ihres Mobiltelefons und verbrachte sie auf den Rücksitz ihres Autos. Im Anschluss daran fuhr der Angeklagte mit ihr zu seiner Wohnung. Dort schlug er sie mehrfach ins Gesicht, zerrte an ihren Haaren, riss ihren Kopf nach hinten und nötigte sie damit zum Oralverkehr. Sodann zwang er sie mit weiteren Schlägen, sich auszuziehen und sich selbst zu befriedigen, was der Angeklagte mit einer Kamera filmte. Danach nötigte er die Nebenklägerin mit Gewalt insgesamt zweimal zum Geschlechtsverkehr.

    Das Landgericht Aurich hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in drei Fällen sowie wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung und Bedrohung zum Nachteil seiner früheren Lebensgefährtin verurteilt. Es wurden Einzelstrafen von vier Jahren, drei Jahren und sechs Monaten, neun Monaten sowie von sechs Jahren verhängt und daraus eine Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten gebildet.

    Von der Anordnung der Sicherungsverwahrung hat das Gericht abgesehen und dazu ausgeführt:

    „Es bestehe aufgrund der dissozialen Persönlichkeitsstörung des Angeklagten zwar eine eher hohe Rückfallgefahr, indes könne bei dem Angeklagten ein Hang zu erheblichen Straftaten (§ 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB aF) nicht festgestellt werden. Die dissoziale Persönlichkeitsstörung weise keine sadistischen Anteile auf; die Merkmale der „Psychopathy“ seien nur im „unteren Bereich“ zu bejahen; antisoziale Denkstile seien beim Angeklagten nicht festzustellen; eine progrediente Entwicklung der Straftaten sei nicht zu erkennen; zwischen den früheren Straftaten lägen teilweise lange Zeitabschnitte; es könne „bei keiner der Vergewaltigungstaten festgestellt werden, dass der Angeklagte nicht lediglichsich ihm bietende Gelegenheiten zu sexuellen Handlungen wahrgenommen“ habe.

    Gegen diese Entscheidung legte die Staatsanwaltschaft Revision ein. Das Angriffsziel war durch den BGH durch Auslegung zu ermitteln, da sich Revisionsantrag und Inhalt der Revisionsbegründung widersprachen. Der BGH hat die Revision auf die Nichtanordnung der Maßregel der Sicherungsverwahrung beschränkt.

    Dazu führte der BGH aus:

    „Die Begründung, mit der das Landgericht beim Angeklagten einen Hang zu erheblichen Straftaten verneint hat, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Sie geht in Teilen von falschen Maßstäben aus oder steht im Widerspruch zu den Feststellungen.

    Das Landgericht hat das Fehlen sadistischer Anteile in der Persönlichkeitsstörung des Angeklagten fehlerhaft bewertet. Nach ständiger Rechtsprechung kommt es auf die Ursache für die fest eingewurzelte Neigung zu Straftaten nicht an (BGH, Urteil vom 12. Dezember 1979 – 3 StR 436/79, NJW 1980, 1055 mwN). Ein Hang zur Begehung von erheblichen, gewalttätigen Sexualdelikten kann auch dann vorliegen, wenn der Täter in der Verletzung oder Demütigung seines Opfers nicht die hauptsächliche Quelle der Erregung oder der Befriedigung findet (vgl. zum Sadismus Elsner/Leygraf in Kröber u.a., Handbuch der forensischen Psychiatrie Bd. 2, 1. Aufl., S. 472, 485).“

    „Die Aufhebung des angefochtenen Urteils, soweit die Anordnung der Sicherungsverwahrung abgelehnt worden ist, führt hier auch zur Aufhebung des Strafausspruches. Denn es lässt sich nicht ausschließen, dass die Einzelstrafen und die Gesamtstrafe niedriger ausgefallen wären, wenn das Landgericht zugleich auf Sicherungsverwahrung erkannt hätte (vgl. BGH, Urteil vom 12. Dezember 1979 – 3 StR 436/79, NJW 1980, 1055 mwN; Urteil vom 3. Februar 2011 – 3 StR 466/10, NStZ-RR 2011, 172).“

    Damit bewertet der BGH die Entscheidung des Landgerichts Ausrich bezüglich der Sicherungsverwahrung als fehlerhaft.

    Allerdings hat der Senat auf die Neuregelung der Sicherungsverwahrung hingewiesen:

    „Durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 (2 BvR 2365/09 u.a., NJW 2011, 1931) sind u.a. die hier anzuwendenden Bestimmungen über die Sicherungsverwahrung als mit Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG i.V.m. Art. 104 Abs. 1 GG unvereinbar erklärt worden. Das Bundesverfassungsgericht hat aber angeordnet, dass die Vorschriften bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber – längstens bis 31. Mai 2013 – nach Maßgabe der Gründe seiner Entscheidung weiter anwendbar bleiben. Danach bedarf es wegen der derzeit verfassungswidrigen Ausgestaltung der Sicherungsverwahrung einer „strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung“, wenn sie gleichwohl angeordnet werden soll. In der Regel wird die Anordnung nur verhältnismäßig sein, wenn „eine Gefahr schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist“ (BVerfG aaO Rn. 172).

    Der Senat versteht die vom Bundesverfassungsgericht geforderte „strikte Verhältnismäßigkeitsprüfung“ dahin, dass bei beiden Elementen der Gefährlichkeit – mithin der Erheblichkeit weiterer Straftaten und der Wahrscheinlichkeit ihrer Begehung (vgl. auch BGH, Beschluss vom 25. Mai 2011 – 4 StR 164/11) – ein gegenüber der bisherigen Rechtsanwendung strengerer Maßstab anzulegen ist.

    Hierzu im Einzelnen:

    (1) Hinsichtlich der Erheblichkeit weiterer Straftaten kommen regelmäßig nur „schwere Gewalt- oder Sexualstraftaten“ in Betracht. Hierin liegt, ansonsten wäre die genannte Maßgabe ohne Inhalt, eine Einschränkung gegenüber den Taten, die nach bisher geltendem Recht Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung darstellen. Dies gilt sowohl für die Straftatenkataloge als auch für die Beschreibung der Taten, auf die sich der Hang beziehen muss. Nicht alle „erheblichen Straftaten“, durch welche die Opfer „seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden“ (vgl. § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB aF bzw. § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB), sind auch „schwere Gewalt- oder Sexualstraftaten“ im Sinne der Maßgabe des Bundesverfassungsgerichts zur Weitergeltung von § 66 StGB.

    Nach Ansicht des Senats sind Vergewaltigungen (§ 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB) wegen der dafür im Regelfall angedrohten Mindeststrafe von zwei Jahren sowie der für die Tatopfer damit regelmäßig verbundenen psychischen Auswirkungen grundsätzlich als „schwere Sexualstraftaten“ im vorstehenden Sinn anzusehen.

    (2) Die Wahrscheinlichkeit der Begehung solcher Taten muss „aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten“ sein. Auch dies stellt höhere Anforderungen als die bislang vom Gesetz als Beurteilungsgrundlage für die Gefährlichkeitsprognose geforderte „Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten“. Das Landgericht hat – aus seiner Sicht folgerichtig – zur Gefahrenprognose lediglich ausgeführt, die Rückfallgefahr sei „eher hoch“ und die Gefährlichkeit des Angeklagten würde „bejaht“. Solche verkürzten Darlegungen würden selbst den hergebrachten Anforderungen nicht genügen. Der neue Tatrichter wird ggf. die Gefährlichkeit aus konkreten Umständen herleiten und sich dabei insbesondere damit auseinandersetzen müssen, dass die Taten des Angeklagten aus dem situativen Zusammenhang einer Beziehungskrise begangen worden und zwischen den abgeurteilten Taten und den früheren Vergewaltigungen Zeiträume von fünfeinhalb bzw. 19 Jahre verstrichen sind.

    b) Die Anordnung der Sicherungsverwahrung könnte, sofern der neue Tatrichter einen Hang zu erheblichen Straftaten und eine auf ihm beruhende Gefährlichkeit des Angeklagten bejahen sollte, nur auf § 66 Abs. 2 oder Abs. 3 Satz 2 StGB aF gestützt werden. § 66 Abs. 1 StGB aF kommt als Grundlage dafür nicht in Betracht, da die Verurteilung des Angeklagten wegen Vergewaltigung aus dem Jahr 1985 auf Grund der eingetretenen „Rückfallverjährung“ (§ 66 Abs. 4 Satz 3 StGB aF) als Vorverurteilung ausscheidet und deshalb die formelle Voraussetzung einer zweiten Vorstrafe fehlt.

    c) Die Anordnung läge sodann im pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters. Dieser soll die Möglichkeit haben, sich ungeachtet der festgestellten hangbedingten Gefährlichkeit des Angeklagten zum Zeitpunkt der Urteilsfällung auf die Verhängung einer Freiheitsstrafe zu beschränken, sofern erwartet werden kann, dass sich der Täter schon die Strafe hinreichend zur Warnung dienen lässt. Damit wird dem Ausnahmecharakter der Vorschrift Rechnung getragen, der sich daraus ergibt, dass § 66 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 StGB – im Gegensatz zu Absatz 1 der Vorschrift – eine frühere Verurteilung und eine frühere Strafverbüßung des Täters nicht voraussetzen. Die maßgeblichen Gründe für seine Ermessensentscheidung muss der Tatrichter nachvollziehbar darlegen, um dem Revisionsgericht die Nachprüfung der Ermessensentscheidung zu ermöglichen (Urteil vom 3. Februar 2011 – 3 StR 466/10, NStZ-RR 2011, 172 mwN).“

    Somit wird das Urteil des Landgerichts Aurich mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben und an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die Strafkammer hat bei der Entscheidung insbesondere den strengeren Maßstab der Sicherungsverwahrung zu beachten.


  • Das Landgericht Kassel hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung nach § 255 i.V.m. § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet.

    Dagegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten.

  • BGH, Beschluss vom 11.08.2011, Az.: 4 StR 279/11

    Das Landgericht Essen hatte den Angeklagten verurteilt. Es wurde die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung sowie ein Wertersatzverfall in Höhe von 83.600 Euro angeordnet.

    Gegen diese Entscheidung legte der Angeklagte Revision ein. Er rügte, dass § 31 BtMG nicht angewendet wurde. Danach kann das Gericht die Strafe mildern oder sogar ganz von Strafe absehen, wenn der Angeklagte Aufklärungshilfe leistet.

    Dazu der 4. Strafsenat des BGH in seiner Beschlussbegründung:

    „Die Überprüfung des Urteils deckt zum Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Die Strafkammer hat die Anwendung des § 31 BtMG bereits deshalb zu Recht abgelehnt, weil nach den Feststellungen ein Aufklärungserfolg nicht eingetreten ist. Der Angeklagte hat lediglich den Vornamen seines Abnehmers aus Essen angeben können, wodurch „vielversprechende“ polizeiliche Ermittlungen in Gang gesetzt wurden. Damit ist ein Aufklärungserfolg nicht erzielt worden. Es genügt nicht, wenn der Täter nur Ermittlungsansätze aufgezeigt hat, erforderlich ist vielmehr, dass eine Aufdeckung erfolgt ist. Dafür müsste der Abnehmer zumindest so genau ermittelt worden sein, dass er zur Festnahme hätte ausgeschrieben werden können (vgl. BGH, Urteil vom 16. Februar 2000 – 2 StR 532/99, StV 2000, 318; Franke/Wienroeder, BtMG, 3. Aufl., § 31 Rn. 15 jeweils m.w.N.).“

     

    Allerdings hob der BGH das Urteil bezüglich der Sicherungsverwahrung und des Wertersatzverfalls auf:

    „Die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung kann aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 20. Juni 2011 keinen Bestand haben, da – anders als zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Entscheidung – das Bundesverfassungsgericht durch Urteil vom 4. Mai 2011 § 66 StGB in der Fassung des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22. Dezember 2010 (BGBl. I S. 2300) für unvereinbar mit Artikel 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 104 Abs. 1 Grundgesetz erklärt hat und die Vorschrift bis zur Neuregelung durch den Gesetzgeber, längstens bis zum 31. Mai 2013 nur nach Maßgabe einer strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung angewandt werden darf.
    Auch die Anordnung des Wertersatzverfalls begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.“

     

    Das Urteil ist aus zwei Gründen besonders interessant.
    Zum einen stellt der BGH klar, dass der § 31 BtMG nur den wirklichen Aufklärungserfolg belohnt. Bemühungen des Täters reichen nicht aus. Zum Anderen zeigt der Beschluss, dass der BGH die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts umsetzt. Dieses hatte den § 66 StGB – die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung – im letzten Jahr für bestimmte Anwendungsfälle für verfassungswidrig erklärt.


  • Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in der vorliegenden Entscheidung die Sicherungsverwahrung aufgehoben und den Wegfall der Unterbringung angeordnet. Ausserdem machte er Ausführung zu der derzeitigen Übergangszeit. Dies dürfte recht interessant sein, angesichts der aktuellen Diskussion über bzw. zur Neuregelung der Sicherungsverwahrung.

  • BGH, Beschluss vom 25. Mai 2011, Az.: 2 StR 585/10

    Das Landgericht Mainz hat der Angeklagten wegen diverser Taten aus dem Betäubungsmittelgesetz zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und zehn Monaten verurteilt. Außerdem wurde die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Die dagegen vom Angeklagten eingelegte Revision führt in diesem Punkt zu einer Aufhebung der Anordnung.

    Der BGH hat angemerkt, dass die zur Schuldfähigkeitsbegutachtung herangezogene Gutachterin ihre Aufgabe an eine Hilfskraft übertragen hatte. Nach Ansicht der Richter hat ein gerichtliche beauftragter Gutachter die Pflicht zur persönlichen Gutachtenerstellung:

    „Das Gutachten eines psychiatrischen Sachverständigen muss – jedenfalls soweit dies überhaupt möglich ist (vgl. BGHSt 44, 26, 32) – eine Exploration des Probanden durch den Sachverständigen einschließen. Dabei handelt es sich um die zentrale Untersuchungsmethode. Deren Ergebnisse kann der gerichtliche Sachverständige nur dann eigenverantwortlich bewerten, wenn er sie selbst durchgeführt oder zumindest insgesamt daran teilgenommen hat. Dies gilt erst recht, wenn bei der Exploration auch Mimik und Gestik des Probanden aufgefasst werden. Eine Delegation der Durchführung dieser Untersuchung an eine Hilfsperson scheidet daher aus. Die Anwesenheit des Sachverständigen in der Hauptverhandlung vermag die eigene Exploration nicht zu ersetzen.“

    Weiterhin unterlag auch die Beweiswürdigung des Landgerichts nach Ansicht der BGH rechtlichen Bedenken:

    „Die Strafkammer hat betont, sie habe „die sachverständigen Ausführungen im Rahmen ihrer Erkenntnismöglichkeiten auf Widersprüche und Verstöße gegen wissenschaftliche Denkgesetze geprüft und solche nicht gefunden“. Der Tatrichter hat aber das Gutachten eigenverantwortlich zu bewerten (vgl. BGHSt 7, 238, 239; Schnoor aaO S. 162 ff.) und „weiterzuverarbeiten“ (Schmid aaO S. 534 ff.). Er muss sich selbst sachkundig machen (Fischer StGB 58. Aufl. § 20 Rn. 64a; Schmid aaO S. 447). Damit ist die Beschränkung auf eine Rechtskontrolle unvereinbar.“

    Allerdings hätten diese Rechtsfehler keinen Einfluss auf das Urteil, da eine Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit im Sinne von § 20 StGB zur Tatzeit nicht vorlag.

    Vielmehr habe die Anordnung der Sicherungsverwahrung aus Gründen des materiellen Rechts keinen Bestand. Die Unterbringung könne nach der Neufassung des § 66 StGB nicht angeordnet werden, da die Voraussetzungen des § 66 I 1 Nr. 1 b), II, III StGB nicht vorlägen. So sei die Tat des Angeklagten – das unerlaubte Handeltreiben mit Betäubungsmitteln – nicht im Höchstmaß mit einer Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht.


  • BGH, Beschluss vom 05.04.2011, Az.: 3 StR 12/11

    Das Landgericht Stade hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in 16 Fällen sowie sexuellen Missbrauchs von Kindern in vier Fällen, davon in drei Fällen in Tateinheit mit Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt und gegen ihn die Sicherungsverwahrung angeordnet.
    Die vom Angeklagten eingelegte Revision hat teilweisen Erfolg. Der BGH beanstandete die Verurteilung wegen der drei Fälle des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen.

    Der Angeklagte bekam oft Besuch von der Nebenklägerin, wobei dieser sich um sie kümmerte und ihr bei der Hausarbeit half. Der BGH gab der Verteidigung recht, dass dies noch kein Abhängigkeitsverhältnis im Sinne des § 174 I Nr. 1 StGB begründen kann. Erst nach der Tat im März 2008 entstand ein Solches, da die Nebenklägerin beim Angeklagten lebte:

    „Ein die Anforderungen des § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB erfüllendes Anvertrautsein setzt ein den persönlichen, allgemein menschlichen Bereich erfassendes Abhängigkeitsverhältnis des Jugendlichen zu dem Betreuer im Sinne einer Unter- und Überordnung voraus (BGH, Beschluss vom 21. April 1995 – 3 StR 526/94, BGHSt 41, 137, 139); entscheidend ist, ob nach den konkreten Umständen ein Verantwortungsverhältnis besteht, kraft dessen dem Täter das Recht und die Pflicht obliegen, die Lebensführung des Jugendlichen und damit dessen geistig-sittliche Entwicklung zu überwachen und zu leiten (BGH, Beschluss vom 26. Juni 2003 – 4 StR 159/03, NStZ 2003, 661).“

    Zudem wurde die Anordnung der Sicherungsverwahrung mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Die Anordnung wurde vor allem auf das Geständnis des Angeklagten gestützt und aus dessen Aussagen die Voraussetzungen abgeleitet. Dazu führte der Generalbundesanwalt in deiner Antragsschrift aus:

    „Diese Ausführungen lassen besorgen, dass das Tatgericht die Grenzen zulässigen Verteidigungsverhaltens des – hier jedenfalls nicht voll geständigen – Angeklagten verkannt hat (vgl. dazu BGHR StGB § 66 Abs. 1 Gefährlichkeit 4). Zulässiges Verteidigungsverhalten darf nicht hangbegründend verwertet werden (BGH NStZ 2001, 595, 596; 2010, 270, 271; …). Wenn der Angeklagte die Taten leugnet, bagatellisiert oder einem anderen die Schuld an der Tat zuschiebt, ist dies grundsätzlich zulässiges Verteidigungsverhalten (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten 8, 9, 10). Die Grenze ist erst erreicht, wenn das Leugnen, Verharmlosen oder die Belastung des Opfers sich als Ausdruck besonders verwerflicher Einstellung des Täters darstellt, etwa weil die Falschbelastung mit einer Verleumdung oder Herabwürdigung oder der Verdächtigung einer besonders verwerflichen Handlung einhergeht (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten 10). Diese Grenze zu einer verbotenen oder auch nur die Belange der Geschädigten grob missachtenden Verteidigungsstrategie ist hier jedoch noch nicht überschritten.“

    Diese Ansicht teilte auch der BGH. Zudem erläuterte der BGH, dass das Landgericht bei neuer Entscheidung das Alter des Angeklagten berücksichtigen sollte und sich erneut die Frage zu stellen hat, ob die Strafe nicht eine hinreichende Warnung darstellt. Insbesondere müssen die Wirkungen eines langjährigen Strafvollzug und die eintretenden Haltungsänderungen beachtet werden.


Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht -
Strafverteidiger Dr. jur. Sascha Böttner

In dringenden Fällen erreichen Sie unsere Anwaltskanzlei zu jeder Tag- und Nachtzeit. Notfallkontakt