Abwesenheit im Prozess

  • Der Angeklagte wurde wegen Zwangsvollstreckungsvereitelung gemäß § 288 I StGB verurteilt. Gegen das Urteil legte er zunächst Berufung zum Landgericht ein. Gegen die Entscheidung des Landgerichts wandte sich der Angeklagte mit der Revision gemäß § 338 Nr. 5 StPO.

    Der Angeklagte rügte, dass sein Strafverteidiger während der Berufungsverhandlung nur teilweise anwesend war. Ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls war der Verteidiger an einem gesamten Tag und an einem Tag zum Teil nicht anwesend. In dieser Zeit wurden entscheidungserhebliche Verfahrensabschnitte durchgeführt. Das Landgericht hatte dabei auch noch schwierige Rechtsfragen bezüglich der Tatbestandsvoraussetzungen zu klären.

  • 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs, Az.: 3 StR 287/10

    Im Anschluss an einen Hauptverhandlungstermin wurde in Abwesenheit der Verteidiger des Beschwerdeführers unter Beteiligung der Staatsanwaltschaft mit den beiden Verteidigern des Mitangeklagten A ein Gespräch über die Möglichkeit einer verfahrensbeendenden Absprache für den Fall einer geständigen Einlassung des Mitangeklagten A geführt. Die übrigen Verfahrensbeteiligen wurden nicht bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit in der öffentlichen Hauptverhandlung nachträglich über den Gesprächsinhalt unterrichtet. Der Beschwerdeführer stellte daraufhin ein Befangenheitsgesuch hinsichtlich aller Mitglieder der Strafkammer.

    Nach Ansicht des 3. Strafsenats ist die Revision des Angeklagten, soweit sie die Befangenheitsanträge betrifft, unbegründet. Das zunächst begründete Misstrauen sei durch die dem Beschwerdeführer bekannt gemachten Äußerungen des Gerichts ausgeräumt worden. Hinsichtlich eines weiteren Ablehnungsgesuchs, welches sich auf die Befangenheit des gesamten Strafkammer bezog und welches damit begründet wurde, dass die Richter den Beschwerdeführer nicht richtig und nicht vollständig über den Inhalt des Gesprächs aufgeklärt hätten, ist der 3. Strafsenat ebenfalls der Ansicht, dass die Revision hier nicht erfolgreich sei.

    Aus dem Wortlaut des Beschlusses:

    „Zwar ist es einem Richter auch nach den Vorschriften des am 04.08.2009 in Kraft getretenen Gesetzes zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren v. 29.07.2009 (BGBl I S. 2353) grundsätzlich nicht verwehrt, zur Förderung des Verfahrens mit den Verfahrensbeteiligten auch außerhalb der Hauptverhandlung Kontakt aufzunehmen. Hier muss jedoch die gebotene Zurückhaltung zu wahren, damit jeder Anschein von Parteilichkeit vermeiden wird. Dies gilt mit Blick auf einen möglichen Interessenwiderstreit mit besonderem Maße, wenn Gespräche über eine verfahrensbeendende Absprache mit einem Angeklagten unter Ausschluss eines vom selben Tatkomplex betroffenen, von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machenden oder die Tatvorwürfe bestreitenden Mitangeklagten, geführt werden.
    In diesen Fallkonstellationen ist es naheliegend, dass bei dem an dem Gespräch nicht beteiligten Mitangeklagte berechtigte Zweifel an der Unvoreingenommenheit der Richter aufkommen können. Aus seiner Sicht könnte zu befürchten sein, dass auch auf Betreiben des Gerichts seine Tatbeteiligung hinter verschlossenen Türen und ohne seine Kenntnis mitverhandelt wird.
    Dieser verständlichen Besorgnis kann zuverlässig nur dadurch begegnet werden, dass Gespräche, die die Möglichkeit einer Verständigung zum Inhalt haben, auch außerhalb der Hauptverhandlung nur in Anwesenheit aller Verfahrensbeteiligten oder offen in der Hauptverhandlung geführt werden. Jedoch gibt es dafür keine gesetzliche Grundlage. Sofern solche Gespräche stattgefunden haben, muss der Vorsitzende Richter auch bei einem ergebnislosen Verlauf und unabhängig davon, ob neue Aspekte i.S.d. § 243 IV 2 StPO zur Sprache gekommen sind, hierüber in der Hauptverhandlung umfassend und unverzüglich unter Darlegung der Standpunkte aller beim Gespräch anwesenden Verfahrensbeteiligten informieren.“


  • 4. Strafsenat des BGH, Az. 4 StR 276/09

    Der Angeklagte war wegen Vergewaltigung in zwei Fällen, Raubes, gefährlicher Körperverletzung und wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Gesamtstrafe von sechs Jahren verurteilt. Die Verteidigung rügte mit der Revision die Verletzung formellen und materiellen Rechts und hatte mit diesem Rechtsmittel vor dem 4. Strafsenat des BGH Erfolg.

    Im Raum stand hier die Fortsetzung der Hauptverhandlung in Abwesendheit des Angeklagten:
    Der Angeklagte war aufgrund von Herzprobleme auf stationärer Untersuchung im Krankenhaus gewesen und konnte somit am dritten Verhandlungstag nicht an der Hauptverhandlung teilnehmen. Eine Ärztin aus dem Krankenhaus teilte dem Verteidiger des Angeklagten fernmündlich am Morgen des Verhandlungstermins mit, dass der Angeklagte  zweimal das Bewusstsein verloren hat und Verdacht auf Herzinfarkt besteht.

    Trotz dieser Kenntnis setzte die Strafkammer die Hauptverhandlung fort. In Abwesenheit des Angeklagten wurden drei der vom Verteidiger gestellten Beweisanträge gemäß §244 Abs. 6 StPO abgelehnt. Erst danach wurde die Hauptverhandlung vom Vorsitzenden des Gerichts unterbrochen und ein  neuer Termin zur Fortsetzung anberaumt.

    Hierzu führt der BGH aus:

    “Die Fortsetzung der Hauptverhandlung gegen den am dritten Verhandlungstage ausgebliebenen Angeklagten verstößt gegen § 230 Abs. 1 StPO. Die Verhandlung ohne den Angeklagten war hier auch nicht ausnahmsweise nach § 231 Abs. 2 StPO zulässig. Nach dieser Vorschrift darf zwar eine unterbrochene Hauptverhandlung ohne den Angeklagten zu Ende geführt werden, wenn er eigenmächtig ferngeblieben ist, d.h. ohne Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe wissentlich seiner Anwesenheitspflicht nicht genügt (vgl. BGHSt 37, 249, 251), er über die Anklage schon vernommen war und das Gericht seine fernere Anwesenheit nicht für erforderlich erachtet.“

    Entscheidend ist, ob der Angeklagte eigenmächtig ferngeblieben war. Die Tatsache, dass er bereits im Frühjahr 2008 wegen seiner Herzprobleme im Krankenhaus in stationärer Behandlung war und die Ärztin per Telefon über den Gesundheitszustand Auskunft erteilte, sprechen jedenfalls gegen ein eigenmächtiges Fernbleiben.

    Nach §338 Nr. 5 StPO lag damit ein absoluter Revisionsgrund vor, da ohne rechtfertigenden Grund in Abwesenheit des Angeklagten verhandelt worden ist. Anders als bei einem relativen Revisionsgrund wird bei einem absoluten Revisionsgrund das Beruhen des Urteils auf dem Fehler gesetzlich vermutet, so dass das Urteil aufzuheben war. Denn eine Heilung durch Nachholung des entsprechenden Teils der Hauptverhandlung war nicht möglich, da die Verkündung des Beschlusses, mit dem die drei Anträge des Verteidigers abgelehnt wurden, bereits einen wesentlichen Teil der Hauptverhandlung darstellen und diese auch nicht in Anwesenheit des Angeklagten wiederholt worden ist.

    Die Revision des Angeklagten hat somit vollumfänglich Erfolg.

  • Az. BGH 3 StR 547/08

    Der Angeklagte war vom LG Krefeld wegen Beihilfe zu fünf Fällen des Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten verurteilt worden. Jedoch war der Mitangeklagte während einzelner Teile der Verhandlung in rechtsfehlerhafter Weise gemäß §§320 I, 231c, 338 Nr. 5 StPO  beurlaubt worden. Aus diesem Grund legte der Angeklagte Revision ein und erhob eine Verfahrensrüge, über die der BGH zu entscheiden hatte.
    Im Zentrum die Frage, ob von dem Instrument Beurlaubung im Sinne des § 231c StPO in einem Verfahren mit mehreren Angeklagten gebraucht gemacht werden kann oder dies – wie im vorliegenden Fall – zu Verfahrensfehlern führt.

    Die Revision hatte nach Ansicht des BGH aus mehreren Gründen Erfolg: So sei es erstens nicht mit Sicherheit auszuschließen, dass der Angeklagte von den Verhandlungsteilen betroffen war, die in seiner Abwesendheit stattgefunden haben. Vielmehr dienten sämtliche Beweisanträge und die Zeugenvernehmung an den Verhandlungstagen, an denen der Angeklagte nicht im Gericht erschienen ist, dem Ziel ihn zu entlasten und die Verteidigung zu stützen. Infolgedessen ist „rechtsfehlerhaft in Abwesenheit des Angeklagten verhandelt worden (§ 338 Nr. 5 StPO)“

    Weiter heißt es:

    „Der Bundesgerichtshof hat wiederholt darauf hingewiesen, dass von der Möglichkeit der Beurlaubung nach § 231 c StPO nur äußerst vorsichtig Gebrauch gemacht werden sollte, weil diese Verfahrensmaßnahme leicht einen absoluten Revisionsgrund schaffen kann (BGH bei Holtz MDR 1979, 807; bei Miebach NStZ 1989, 219; BGHR StPO § 231 c Betroffensein 1; BGH NStZ 1981, 111). Dem Senat erscheint es ausgeschlossen, von § 231 c StPO im Rahmen eines Strafverfahrens Gebrauch zu machen, das sich gegen mehrere Angeklagte wegen bandenmäßiger Begehung von Straftaten richtet.

    Ferner spielt es keine Rolle, ob der Angeklagte die Beurlaubung selber beantragt und sich somit freiwillig ausgeschlossen hat. So könne der Angeklagte „zwar einen Antrag auf Beurlaubung stellen, darüber hinaus aber über seine Anwesenheitspflicht nicht disponieren“. Es ist daher die Aufgabe des Gerichts vom Amts wegen zu prüfen, ob die Voraussetzungen des § 231 c Satz 1 StPO vorliegen.

    Das vollständige Urteil findet sich auf der Seite des Bundesgerichtshofes unter dem Aktenzeichen: 3 StR 547/08

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht -
Strafverteidiger Dr. jur. Sascha Böttner

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