LG Dresden: Beschluss vom 22.11.2011, Az.: 14 KLs 204 Js 41068/08 (2)
Die Staatsanwalt Dresden ordnete eine körperliche Untersuchung des verletzten Zeugen an, welcher sich in stationärer Behandlung befand. Der Zeuge wurde daraufhin durch einen Rechtsmediziner bei Anwesenheit zweier Polizeibeamter untersucht. Die Verletzungen wurden fotografisch dokumentiert. Vor der Untersuchung hatten die Beamten den Zeugen lediglich mit der staatsanwaltschaftlichen Anordnung konfrontiert, ihn aber nicht über das Recht, die Mitwirkung an einer Untersuchung zu verweigern, belehrt.
Der Zeuge hatte die behandelnden Ärzte ausdrücklich nicht von der Schweigepflicht entbunden und stimmte im Prozess der Verwertung der Informationen ebenfalls nicht zu. Nichtsdestotrotz wurden die Informationen im Verfahren verwertet. Dies führte zu einer Verurteilung des Angeklagten.
Das Landgericht hatte zu klären, ob hier ein Verstoß gegen den Richtervorbehalt aus § 81c StPO vorliegt:
„Auch wenn die Vorschrift des § 81c StPO grundsätzlich den Rechtskreis des Angeklagten nicht berührt, so ist der Verstoß gegen § 81c Abs. 5 StPO in diesem Fall derart schwerwiegend, dass er nach Überzeugung der Kammer zu einem Beweisverwertungsverbot führt. Der strafprozessual zum Schutz der Grundrechte des Zeugen vorgesehene Richtervorbehalt würde leerlaufen, wenn das schlichte und somit objektiv willkürliche Ignorieren der gesetzlichen Eingriffsvoraussetzungen nicht zu einem Verwertungsverbot führen würde. Dieses erstreckt sich wegen des untrennbaren Zusammenhangs auch auf die bei der Untersuchung gefertigten Lichtbilder und die unmittelbar dabei gewonnenen persönlichen Eindrücke. “
Folglich liegt hier nach Ansicht des Landgerichts eine Unverwertbarkeit der auf Grundlage der staatsanwaltschaftlichen Anordnung nach § 81c Abs. 5 StPO durchgeführten rechtsmedizinischen Untersuchung und der dabei gewonnenen Erkenntnisse vor. Hier geht es zwar um die Untersuchung eines Zeugen und nicht des Angeklagten – nichtsdestotrotz führt dies nach Auffassung des Gerichts zu einem Beweisverwertungsverbot zu Gunsten des Angeklagten, auch wenn dessen Rechtskreis durch die Untersuchung nicht betroffen ist.
Im Kachelmann-Prozess und derzeit bekanntesten Fall aus dem Sexualstrafrecht trugen nun die Rechtsmediziner Markus Rothschild aus Köln und Klaus Püschel aus Hamburg ihre Gutachten zu den Verletzungen des mutmaßlichen Opfers vor.
Die beiden Rechtmediziner verglichen, was das mutmaßliche Opfer über die angebliche Vergewaltigung ausgesagt hatte mit dem, was an Befunden tatsächlich vorliegt. Als Fazit kamen sie dazu, dass sich das Geschehen, so wie sie es geschildert hat, nicht zugetragen haben könne.
Rothschild zitierte aus dem „Handbuch für gerichtliche Medizin“ einen Zehn-Punkte-Katalog von Merkmalen, die für Selbstverletzungen typisch seien. Dabei trafen viele Merkmale trafen auf das mutmaßliche Opfer zu. Hier sind beispielsweise das das Fehlen von Abwehrverletzungen, die leicht erreichbare Stelle, die oberflächlichen Ritzer an Bauch, linkem Schenkel und linkem Arm, die parallele Anordnung zu nennen.
Rothschild habe eine solche Befundkonstellation noch nie gesehen. Püschel hingegen sprach von „eindeutigen Hinweisen auf Selbstverletzung“ und schloss ein überfallartiges Geschehen aus. Es seien viele Anhaltspunkte für eine Manipulation zu sehen. Die bei dem mutmaßlichen Opfer vorhandenen Hämatome könnten nicht durch Kachelmanns Knie verursacht worden sein.
Zuvor war jedoch nochmals Mattern zu seinem Gutachten befragt worden. Insbesondere ging es dabei um die Frage, ob das Messer bei der angeblichen Tat den gesamten Tatzeitraum über an den Hals des mutmaßlichen Opfers gedrückt wurde. Mattern erklärte dazu, dass er sich nicht vorstellen könne, wie ein Messer immer gleich fest an den Hals gehalten werde, beim Gang von der Küche ins Schlafzimmer und dann beim Geschlechtsakt. „Nach 40 Jahren Rechtsmedizin denke ich, um solche Spuren zu erzeugen – das tut schon weh, das klingt nach. Der Schmerz hört nicht sofort auf.“ Die Staatsanwaltschaft fragte daraufhin nach wie viel Hautabrieb er am Messer erwarten würde, wenn es über längere Zeit an den Hals der Frau gedrückt worden sein sollte. Mattern erklärte auf die Frage, dass eine gewisse Menge von Hautepithelien erwarten müsse. Die Staatsanwaltschaft wandte ein, dass aber laut Spurenbericht nichts gefunden worden sei. „Gibt Ihnen das nicht Anlass zu einer anderen Einschätzung?“ Mattern, etwas irritiert: „Wenn die Epithelien nicht abgewischt wurden, dann wäre das ein Widerspruch.“
Mattern hatte im vorangegangenen Prozesstag erklärt, dass er Experimente hinsichtlich der Verletzungen mit seiner Frau durchgeführt habe. Dies griff Rothschild nochmals auf und fragte, ob es richtig sei, dass bei keinem der Experimente solche Verletzungen entstanden seien, wie die, die das mutmaßliche Opfer behauptet. Mattern gab an, dass keines seiner Experimente zu vergleichbaren Verletzungen geführt habe. Die Ausführungen von Mattern am vorangegangenen Prozesstag seien somit spekulativ.
Der Verteidiger von Kachelmann, Rechtsanwalt Johann Schwenn, erinnerte Mattern an seinen Gutachtenauftrag, nach dem er die Vereinbarkeit der Befunde mit der Schilderung der angeblich Geschädigten zu analysieren hatte. Schwenn: „Gibt es eine mögliche andere Erklärung für die Hämatome an den Schenkeln als immensen Druck durch männliche Knie?“ Mattern erwiderte darauf: „Man müsste an Kneifen denken. An festes Zusammenquetschen, mehrfach.“ Ferner erklärte er, dass bei demjenigen, der sich selbst öfter solche Verletzungen beibringe, auch die Neigung zur Ausbildung besonders auffälliger Blutergüsse steige.
Sodann wurde Alice Schwarzer als Zeugin gehört. Sie berief sich jedoch auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht als Journalistin. Kachelmanns Verteidiger Schwenn hatte beantragt, Schwarzer vernehmen zu lassen, da sie über ihre Kontakte zu Günter Seidler, dem Therapeuten des mutmaßlichen Opfers, aussagen sollte. Schwenn ging es dabei um die Glaubwürdigkeit von Seidler.
( Quelle: spiegel-online vom 09.02.2011 )
Im Kachelmann-Prozess hat nun der Rechtsmediziner Mattern ausgesagt. Er hatte das mutmaßliche Opfer des Sexualstrafrecht nach der angeblichen Vergewaltigung untersucht. Er begann sein Gutachten mit den Worten: „Ich kann weder nachweisen, dass der Angeklagte dem mutmaßlichen Opfer die Verletzungen beigebracht hat, noch kann ich mit wissenschaftlichen Methoden nachweisen, dass sie sich die Verletzungen selbst beigebracht hat.“
Elf Stunden nach der angeblichen Tat wurde das mutmaßliche Opfer von dem Rechtsmediziner untersucht. Danach folgten weitere Untersuchungen. Bei diesen Untersuchungen habe der Rechtsmediziner das mutmaßliche Opfer sich selbst gegen ihre Schenkel schlagen lassen und ihr das angebliche Tatmesser an den Hals gehalten. Daraufhin haben sie zu weinen und zittern begonnen. Er habe das Experiment dann beendet.
Mattern legt dem Gericht zahlreiche Fotografien vor, die er in zeitlichen Abständen gemacht hatte. Mattern erklärte ferner, dass das mutmaßliche Opfer, als es am 9. Februar 2010 zu ihm gebracht wurde, „sehr betroffen“ und dem Weinen nahe gewesen sei. Darauf fiel ihm der Verteidiger Kachelmanns Schwenn ins Wort, dass er als Sachverständiger für Rechtsmedizin dies nicht beurteilen könne, da er schließlich nicht Psychiater sei.
Hinsichtlich des acht mal zehn Zentimeter großen Hämatoms an den Schenkel-Innenseiten des mutmaßlichen Opfers könne dies durch eine Faust verursacht worden sein. „Aber man muss dann schon gewaltig zuschlagen!“ Die Sache sei hochkomplex und „nicht einer Ursache zwingend zuzuordnen“. Mattern gab an, dass er für sein Gerichtsgutachten Selbstversuche mit seiner Ehefrau gemacht habe. Er hätte seine Knie mit Farbe bemalt und diese wiederholt gegen die geschlossenen Oberschenkel seiner Frau gestoßen, um sie auseinanderzudrücken. Die dabei entstandenen Farbabdrücke seien ähnlich ausgedehnt wie die des mutmaßlichen Opfers. Jedoch könne darin kein Beweis gesehen werden. Auch die Rötung am Hals des mutmaßlichen Opfers, sei keine typische Kratzverletzung. Sie könne jedoch eine atypische Kratzverletzung sein. „Von der Traumatomechanik her kann man mit diesem Messer die Befunde am Hals erzeugen. Ich habe kein wirkliches Argument gegen das Messer. Aber ich habe auch keines gegen Selbstbeibringung.“, so Mattern.
Mattern kommt schließlich zum Schluss, dass alle Varianten möglich seien, aber nichts zwingend beweisbar. Viele Umstände seien maßgebend. Vieles sei eine Sache der Interpretation und er könne sich nicht festlegen.
Die Anhörung wird weiter fortgesetzt, da weder die von der Verteidigung geladenen Rechtsmediziner Mattern befragen konnten, noch die Verteidigung selbst.
( Quelle: spiegel-online vom 01.02.2011 )
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht -
Strafverteidiger Dr. jur. Sascha Böttner