Der Strafprozess sieht den Richter im Strafprozess als neutrale Instanz zwischen dem Angeklagten mit seinem Anwalt und dem anklagenden Staatsanwalt. Diese neutrale Rolle kann der Richter nur als unabhängiges Organ erfüllen. Die richterliche Unabhängigkeit ist verfassungsrechtlich garantiert und die Richter verfügen zur Absicherung ihrer Unabhängigkeit über besondere Privilegien.
Der Tatbestand der Rechtsbeugung (§ 339 StGB) im Strafgesetzbuch findet in der heutigen Praxis selten Beachtung. Die jährlichen Strafverfahren wegen Rechtsbeugung befinden sich regelmäßig im einstelligen Bereich. Die Verurteilungsrate liegt meist bei unter 50 Prozent. Lediglich zur Verfolgung des SED-Justizunrechts fand der Paragraph umfangreiche Anwendung. Trotzdem kommt es auch heute immer noch vereinzelt zu Verurteilungen, die dann schwerwiegende private und berufliche Konsequenzen für den Verurteilten haben.
Der gesetzliche Richter ist ein wichtiges Element des Rechtsstaates. Ein Angeklagter soll einem neutralen Richter gegenüber stehen und dieser steht im Optimalfall schon fest, bevor die Anklage erhoben wurde. Sollte trotzdem einmal die Besorgnis der Befangenheit bestehen, so kann ein Richter, Schöffe oder Gutachter abgelehnt werden.
Die Richter des Landgerichts Halle mussten sich mit einem suspendierten Kollegen aus Dessau befassen. Ihm wurden Urkundenfälschung und Strafvereitelung im Amt vorgeworfen. Der 61-jährige Richter am Landgericht Dessau-Roßlau soll zwischen April 2005 und August 2007 in fünf Fällen die schriftlich ausgefertigten Urteile nachträglich überarbeitet haben.
Der Richter gestand, dass er unfertige Urteile innerhalb der Urteilsabsetzungsfrist zur Geschäftsstelle gereicht hatte. Anschließend ergänzte und überarbeitete er die Urteile und lies die unvollständigen Urteile damit vervollständigen. Durch das Abliefern der unfertigen Urteile wurde den Verurteilten die Chance der Revision genommen. Denn ist ein Urteil nicht innerhalb von fünf Wochen zur Akte gereicht, ist das Urteil in der Revision aufzuheben.
Das Landgericht Halle sah in diesem Verhalten zwar eine Rechtsverletzung, jedoch hätte es nicht die erforderliche Schwere erreicht, um als Rechtsbeugung angesehen zu werden. Der Angeklagte hatte weder Urteilstenor noch den Sachverhalt verfälscht. Aus diesem Grund liegt auch der für eine Rechtsbeugung notwendige erhebliche Unrechtsgehalt nicht vor.
Die Staatsanwaltschaft hatte eine zweijährige Bewährungsstrafe gefordert, die Strafverteidigung plädierte auf Freispruch. Letzterem kam das Landgericht Halle auch nach und sprach den Richter frei. Die Staatsanwaltschaft hat bereits angekündigt, ihrerseits die Revision einzulegen.
( LG Halle, 10.10.2012 – 3 KLs 16/12 )
Das Landgerichts Potsdam hatte im Jahre 2009 zwei Juristen – einen Richter und einen Oberstaatsanwalt – wegen Rechtsbeugung zu Bewährungsstrafen verurteilt.
Das Urteil wurde aber 2010 vom BGH wegen Verfahrensfehlern kassiert. Daher wurde die Prozess vor dem Landgericht Potsdam nun erneut aufgerollt. Laut Anklage haben die Juristen im Jahre 2005 bewusst Haftbefehle beantragt und erlassen, ohne dass dies erforderlich war. Damit hätten sie laut Staatsanwaltschaft ihre Kompetenzen überschritten. Anlass für die Anklage waren Anzeigen von drei Menschen, die zu Unrecht für mehrere Tage in Untersuchungshaft saßen. Diese traten vor dem Landgericht als Nebenkläger auf. Die Angeklagten haben die Vorwürfe stets bestritten.
Die Staatsanwaltschaft forderte für die beiden Angeklagten erneut Freiheitsstrafen von zwei Jahren bzw. einem Jahr und sechs Monaten zur Bewährung.
Auch dieses Mal stand das Landgericht vor diversen Fragen, die nicht endgültig geklärt werden konnten. Nichtsdestotrotz sei nach Aussage das Gerichts hier keine Rechtsbeugung erfolgt, auch wenn sich das Verhalten den Angeklagten in einem „Grenzbereich“ abgespielt habe. Daher endete der Prozess mit zwei Freisprüchen.
Das Urteil ist noch nichts rechtskräftig.
( Quelle: Welt online vom 08.12.2011 )
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht -
Strafverteidiger Dr. jur. Sascha Böttner