sexueller Missbrauch

  • BGH, Beschluss vom 05.04.2011, Az.: 3 StR 12/11

    Das Landgericht Stade hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in 16 Fällen sowie sexuellen Missbrauchs von Kindern in vier Fällen, davon in drei Fällen in Tateinheit mit Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt und gegen ihn die Sicherungsverwahrung angeordnet.
    Die vom Angeklagten eingelegte Revision hat teilweisen Erfolg. Der BGH beanstandete die Verurteilung wegen der drei Fälle des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen.

    Der Angeklagte bekam oft Besuch von der Nebenklägerin, wobei dieser sich um sie kümmerte und ihr bei der Hausarbeit half. Der BGH gab der Verteidigung recht, dass dies noch kein Abhängigkeitsverhältnis im Sinne des § 174 I Nr. 1 StGB begründen kann. Erst nach der Tat im März 2008 entstand ein Solches, da die Nebenklägerin beim Angeklagten lebte:

    „Ein die Anforderungen des § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB erfüllendes Anvertrautsein setzt ein den persönlichen, allgemein menschlichen Bereich erfassendes Abhängigkeitsverhältnis des Jugendlichen zu dem Betreuer im Sinne einer Unter- und Überordnung voraus (BGH, Beschluss vom 21. April 1995 – 3 StR 526/94, BGHSt 41, 137, 139); entscheidend ist, ob nach den konkreten Umständen ein Verantwortungsverhältnis besteht, kraft dessen dem Täter das Recht und die Pflicht obliegen, die Lebensführung des Jugendlichen und damit dessen geistig-sittliche Entwicklung zu überwachen und zu leiten (BGH, Beschluss vom 26. Juni 2003 – 4 StR 159/03, NStZ 2003, 661).“

    Zudem wurde die Anordnung der Sicherungsverwahrung mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Die Anordnung wurde vor allem auf das Geständnis des Angeklagten gestützt und aus dessen Aussagen die Voraussetzungen abgeleitet. Dazu führte der Generalbundesanwalt in deiner Antragsschrift aus:

    „Diese Ausführungen lassen besorgen, dass das Tatgericht die Grenzen zulässigen Verteidigungsverhaltens des – hier jedenfalls nicht voll geständigen – Angeklagten verkannt hat (vgl. dazu BGHR StGB § 66 Abs. 1 Gefährlichkeit 4). Zulässiges Verteidigungsverhalten darf nicht hangbegründend verwertet werden (BGH NStZ 2001, 595, 596; 2010, 270, 271; …). Wenn der Angeklagte die Taten leugnet, bagatellisiert oder einem anderen die Schuld an der Tat zuschiebt, ist dies grundsätzlich zulässiges Verteidigungsverhalten (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten 8, 9, 10). Die Grenze ist erst erreicht, wenn das Leugnen, Verharmlosen oder die Belastung des Opfers sich als Ausdruck besonders verwerflicher Einstellung des Täters darstellt, etwa weil die Falschbelastung mit einer Verleumdung oder Herabwürdigung oder der Verdächtigung einer besonders verwerflichen Handlung einhergeht (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten 10). Diese Grenze zu einer verbotenen oder auch nur die Belange der Geschädigten grob missachtenden Verteidigungsstrategie ist hier jedoch noch nicht überschritten.“

    Diese Ansicht teilte auch der BGH. Zudem erläuterte der BGH, dass das Landgericht bei neuer Entscheidung das Alter des Angeklagten berücksichtigen sollte und sich erneut die Frage zu stellen hat, ob die Strafe nicht eine hinreichende Warnung darstellt. Insbesondere müssen die Wirkungen eines langjährigen Strafvollzug und die eintretenden Haltungsänderungen beachtet werden.


  • BGH, Beschluss des 2. Strafsenats vom 21.12.2010 – 2 StR 344/10 –

    Wiederaufnahmeverfahren: Nachdem der Angeklagte 1991 aus der Haft entlassen wurde lebte er bei der Familie W., wobei er den 13-jährigen Sohn sexuell missbrauchte. Dabei griff der Angeklagte das Glied des Jungen und führte daran Onanierbewegungen aus, nahm es in den Mund und manipulierte daran bis zum Samenerguss.

    Das Landgericht Aachen hatte den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in mehreren Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt, wovon ein Jahr und drei Monate als vollstreckt erklärt wurden. Grund dafür sollte eine rechtswidrige Verfahrensverzögerung sein. Außerdem wurde die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet.

    Gegen diese Entscheidung wurde Revision eingelegt. Diese hat bezüglich des Straf- und Maßregelausspruchs Erfolg. Bei der Strafzumessung ist ein falscher Maßstab zugrunde gelegt worden.

    Ein Urteil des Landgerichts Augsburg aus dem Jahre 2001 hatte den Mann wegen Missbrauchstaten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Dieses erlangte 2002 Rechtskraft. Daraufhin sah die Staatsanwaltschaft nach § 154 I StPO von der Verfolgung der nunmehr abgeurteilten Tatvorwürfe ab. 2009 wurde – nach Vollstreckung der Strafe – das vorliegende Verfahren wiederaufgenommen.

    Dazu führte der BGH aus:

    „Nicht gegeben ist zwar das von der Revision geltend gemachte Verfahrenshindernis infolge der ursprünglich von der Staatsanwaltschaft vorgenommenen Sachbehandlung nach § 154 Abs. 1 StPO. Denn diese kann jeder-zeit – bis zum Eintritt der Verfolgungsverjährung – ein nach § 154 Abs. 1 StPO eingestelltes Verfahren wieder aufnehmen, ohne an die Beschränkungen des § 154 Abs. 3 und 4 StPO gebunden zu sein (BGHSt 30, 165; 37, 10, 11; BGHR StPO § 154 Abs. 4, Wiederaufnahme 1; BGH NStZ-RR 2007, 20; Meyer-Goßner StPO 53. Aufl. § 154 Rn. 21a). Ob es für die Wiederaufnahme eines „sachlich einleuchtenden Grundes“ bedarf (BGHSt 54, 1, 7; Rieß NStZ 1981, 2, 9; offen gelassen in BGHSt 37, 10, 13) kann dahin stehen. Solche Gründe waren hier, wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend ausgeführt hat, gegeben. Diese lagen vor allem in einem fortbestehenden Verfolgungsinteresse des Geschädigten.

    (…)
    Als rechtsfehlerhaft erweist sich aber, dass das Landgericht in der zwischenzeitlichen Nichtverfolgung und dem dadurch eingetretenen Stillstand im Ermittlungsverfahren einen zu kompensierenden Verstoß gegen den aus Art. 6 Abs. 1 S. 1 MRK, Art. 20 GG resultierenden Anspruch auf zügige Verfahrensdurchführung (vgl. BGHSt 52, 124, 129) gesehen hat. Der Gesetzgeber hat in § 154 Abs. 1 StPO die Staatsanwaltschaft ermächtigt, in Durchbrechung des Legalitätsprinzips aus Opportunitätsgründen auf die weitere Verfolgung (vorläufig) zu verzichten (vgl. hierzu Rieß aaO; BT-Drs. 8/976 S. 40). Macht die Staatsanwaltschaft von dieser Möglichkeit aus verfahrensökonomischen Gründen Gebrauch und nimmt sie das Verfahren später in zulässiger Weise wieder auf, kann die hierdurch bewirkte Verzögerung jedenfalls nicht ohne weiteres den Vorwurf der Rechtsstaatswidrigkeit begründen.

    (…)
    Ein großer zeitlicher Abstand zwischen Tat und Aburteilung sowie eine lange Verfahrensdauer und ihre nachteiligen Auswirkungen auf den Angeklagten stellen regelmäßig selbst dann gewichtige Milderungsgründe dar, wenn diese sachlich bedingt waren (BGH NStZ 1986, 217, 218; 1991, 181; NJW 1990, 56; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 4. Aufl. Rn. 438; Fischer StGB 58. Aufl. § 46 Rn. 61 jew. mwN).“

    Folglich konnte das Verfahren wiederaufgenommen werden. Allerdings kritisiert der BGH, dass das Landgericht durch die späte Wiederaufnahme eine Verfahrensverzögerung angenommen hat. Daher sei die Vollstreckungsanrechung zu Unrecht gewährt worden, müsse aber bestehen bleiben, da sie den Angeklagten nicht beschwert. Dadurch könne aber nicht ausgeschlossen werden, dass es Fehler beim Straf- und Maßregelausspruch entstanden ist. Somit wurde das Urteil diesbezüglich aufgehoben und an das Landgericht zurückverwiesen.


  • 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs, Az.: 3 StR 410/10

    Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus in einem Strafprozess wegen sexuellem Missbrauch Widerstandsunfähiger angeordnet.
    Dem lagen folgende Feststellungen zugrunde:
    Der Beschuldigte habe in drei Fällen die Hose der zu 100 % geistig behinderten Zeugin geöffnet und jeweils einen Finger in deren Scheide eingeführt. Aufgrund ihrer geistigen Behinderung sei die Geschädigte unfähig gewesen, die von ihr abgelehnten sexuellen Übergriffe abzuwehren. Dies habe der Beschuldigte ausgenutzt, obwohl er gewusst habe, dass die Frau die sexuellen Handlungen nicht wollte und aufgrund ihrer Behinderung zum Widerstand außerstande war. Wegen eines bei einem Verkehrsunfall erlittenen Frontalhirnsyndroms, das tiefgreifende Veränderungen in der Äußerung der Affekte, Bedürfnisse und Impulse bewirkt hatte, sei der Beschuldigte zum Zeitpunkt der Taten nicht in der Lage gewesen, sein Verhalten entsprechend seiner erhalten gebliebenen Unrechtseinsicht zu steuern.

    Aufgrund dieser Feststellung ging das Landgericht davon aus, dass der Beschuldigte im Zustand der Schuldunfähigkeit in drei Fällen eine widerstandsunfähige Person sexuell missbraucht habe. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus wurde angeordnet, weil vom Beschuldigten in vergleichbaren Reizsituationen gleichartige Taten zu erwarten seien und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich sei.

    Gegen diese Entscheidung des Landgerichts legte der Beschuldigte Revision ein.

    Der 3. Strafsenats des Bundesgerichtshofs hat der Revision des Beschuldigten stattgegeben, die Verteidigung in der Revisionwar erfolgreich. Hinsichtlich der Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus bestünden durchgreifende rechtliche Bedenken.
    So habe das LG hat zwar rechtsfehlerfrei festgestellt, dass die Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten wegen einer krankhaften seelischen Störung bei den ihm zur Last liegenden Taten aufgehoben gewesen sei. Durch die Beweiswürdigung würde aber nicht die für den objektiven Tatbestand des sexuellen Missbrauchs widerstandsunfähiger Personen entscheidende Feststellung belegt, dass die Geschädigte bei den sexuellen Übergriffen widerstandsunfähig gewesen sei.

    Aus dem Wortlaut des Beschlusses:

    „Widerstandsunfähig im Sinne des § 179 I Nr. 1 StGB ist, wer aus den in dieser Vorschrift genannten Gründen keinen zur Abwehr ausreichenden Widerstandswillen bilden, äußern oder durchsetzen kann. Dabei genügt es, dass das Tatopfer nur vorübergehend widerstandsunfähig ist. Als Ursache einer solchen Unfähigkeit kommen nicht nur geistig-seelische Erkrankungen, sondern auch sonstige geistig-seelische Beeinträchtigungen in Betracht, die sich etwa aus einem Zusammentreffen einer besonderen Persönlichkeitsstruktur des Opfers und seiner Beeinträchtigung durch die Tatsituation infolge Überraschung, Schreck oder Schock ergeben. Der Tatrichter hat aufgrund einer Gesamtbetrachtung, in die auch das aktuelle Tatgeschehen einzubeziehen ist, die geistig-seelische Verfassung des Tatopfers und deren Auswirkungen auf das Opferverhalten zu prüfen und in den Urteilsgründen darzulegen (BGH, Urteil vom 15. März 1989 – 2 StR 662/88, BGHSt 36, 145, 147).
    Diesen Maßstäben wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Die Strafkammer hat seine Überzeugung von der Widerstandsunfähigkeit der Geschädigten nicht begründet, so dass für den Senat nicht nachprüfbar ist, ob sie zu Recht von einer psychischen Widerstandsunfähigkeit der Zeugin ausgegangen ist.“

    Der 3. Strafsenat des BGH hat die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LG zurückverwiesen.


  • Vor dem Landgericht Baden-Baden wird derzeit ein Fall von schwerem Kindesmissbrauch verhandelt. Einem Mann aus Rastatt wird vorgeworfen, dass er seine damals 9-jährige Stieftochter mindestens zwei Jahre hinweg hundertfach zum Beischlaf und anderen sexuellen Handlungen gezwungen haben soll. Er drohte dem aus Indonesien stammende Mädchen, dass er sie zurück in ihre Heimat in ein Kinderheim schicken werde, wenn sie sich wehre.
    zudem soll er das Mädchen in den Jahren von 2008 bis 2010 immer wieder an andere Männer verkauft haben. Die Männer durften sich gegen Geld an dem Mädchen vergehen oder kinderpornografische Fotos von ihr machen.
    Der Angeklagte will während des Prozess voraussichtlich auf Anraten der Verteidigung ein Geständnis ablegen.

    ( Quelle: Hamburger Abendblatt – online vom 15.03.2011 )


  • Eine Anwaltskanzlei, die im Auftrag der Erzdiözese München und Freising die Geschehnisse der Jahre 1945 bis 2009 hinsichtlich etwaigen Kindesmissbrauchs untersuchte, hat festgestellt, dass der Missbrauch von Kindern und Jugendlichen durch Priester und andere Mitarbeiter im großen Ausmaß vertuscht worden sein soll. Es seien Akten in erheblichem Umfang vernichtet worden. Zudem seien Aktenbestände in Privatwohnungen verbracht und dort einem manipulativen Angriff ausgesetzt worden.Es sei daher von einer beachtlichen Dunkelziffer auszugehen, die über die 159 Fälle von Übergriffen etwaiger Priester hinausgehe.

    Die Anwaltskanzlei bestätigte auch, dass diese Praktiken auch zu Zeiten des heutigen Papstes Benedikt XVI, der als Kardinal Joseph Ratzinger die Erzdiözese leitete, bestanden hätten.
    Die Anwaltskanzlei warf dem Ordinariat daher vor, dass aus einem „rücksichtslosen Schatz des eigenen Standes“ und einem „fehlinterpretierten klerikalen Selbstverständnis“ die körperlichen und seelischen Verletzungen der Opfer nicht beachtet worden seien. Hierunter sei auch der Fall des Priesters zu fassen, der in der Erzdiözese nach einer rechtskräftigen Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger wieder als Seelsorger eingesetzt wurde.
    (Quelle: FAZ vom 04.12.2010 Nr. 283, S. 5)


  • Gegen eine Klinik für übergewichtige Kinder in Westerland auf Sylt wurde nun der Vorwurf wegen sexuellen Missbrauchs laut. Die Beteiligten sind Jungen im Alter von neun und dreizehn Jahren. Die Jungen waren im Juli dieses Jahres für jeweils sechs Wochen nach Sylt gekommen, um in dem von der Deutschen Angestellten-Krankenkasse (DAK) betriebenen Haus abzunehmen. Dabei sind die Kinder in Wohngruppe von bis zu 16 Kindern untergebracht. In einer dieser Wohngruppen, soll es zu Übergriffen gekommen sein. Zwei der Jungen vertrauten sich einem Betreuer an. Daraufhin wurden die mutmaßlichen Täter nach Hause geschickt.

    Die Mutter eines Opfers erstattete nun Strafanzeige. Sie gab an, dass ihr Sohn zu Oralverkehr und Zungenküssen gezwungen worden sei. Man geht davon aus, dass bis zu zwölf Jungen betroffen sind und das es sich um vier Täter handelt. Ein DAK-Sprecher spricht von „erweiterten Doktorspielen“ und verneint jegliche sexuelle Gewalt. Die Vorfälle seien nicht zu bagatellisieren, aber dies sei häufiger vorgekommen bei Kindern dieses Alters. Die Bezeichnung von „erweiterten Doktorspielen“ wurde jedoch umgehend von der DAK zurückgenommen und als nicht angebracht bezeichnet. Die DAK bedauere die Vorkommnisse aufs Allertiefste.

    Ein Opfervertreter wirft der DAK vor die ganze Angelegenheit vertuschen zu wollen. Die Flensburger Staatsanwaltschaft hat den Eingang der Strafanzeige bestätigt. Problematisch in diesem Fällen ist jedoch, dass die Täter zur Tatzeit strafunmündig waren. Weitere Informationen zum Sexualstrafrecht und den einzelnen Delikten wie der sexuelle Missbrauch an Kindern finden Sie ausserdem auf der Seite zum Sexualstrafrecht.

    ( Quelle: Hamburger Abendblatt vom 15.09.2010, S. 14, vom 16.09.2010, S. 18 )

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht -
Strafverteidiger Dr. jur. Sascha Böttner

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