Möchte das Gericht dem Sachverständigen nicht folgen, muss es sich mit dessen Aussagen trotzdem auseinandersetzen.
Der Angeklagte wurde vom Landgericht Saarbrücken unter anderem wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt. Der Angeklagte soll seine damals 11-jährige Tochter mit seinem Finger im Scheidenbereich berührt haben.
Im Rahmen der Hauptverhandlung wurde eine aussagepsychologische Gutachterin hinzugezogen, die die Glaubwürdigkeit der Aussage der Tochter beurteilen sollte. Während das schriftliche Gutachten noch von einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit der Glaubwürdigkeit ausging, revidierte die Gutachterin in ihrer späteren Beurteilung dieses Ergebnis. Das Landgericht hielt die Tochter trotzdem für glaubwürdig:
„Es weicht damit von der Beurteilung der aussagepsychologischen Gutachterin ab, die – entgegen ihrem schriftlichen Gutachten – „im Hinblick auf das Aussagematerial der Nebenklägerin im Rahmen der Hauptverhandlung“ (UA S. 18) nicht mehr zu dem Ergebnis gelangte, dass deren Bekundungen mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit erlebnisfundiert seien. In der Hauptverhandlung habe sich die „Qualität des Aussagematerials“ reduziert.“
Dagegen wehrt sich die Strafverteidigung erfolgreich mit der Revision. Der BGH gibt der Revision statt, denn die Beweiswürdigung hält einer revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand. Möchte das Landgericht einem Sachverständigen nicht folgen, muss es sich zumindest konkret mit dessen Ausführungen auseinander setzen:
„Zwar ist das Tatgericht nicht gehalten, einem Sachverständigen zu folgen. Kommt es aber zu einem anderen Ergebnis, so muss es sich konkret mit den Ausführungen des Sachverständigen auseinandersetzen, um zu belegen, dass es über das bessere Fachwissen verfügt (vgl. BGH, Urteil vom 12. Juni 2001 – 1 StR 190/01).“
Dies zählt besonders für die Fälle, in denen die Aussage des Tatopfers das einzige Beweismittel ist:
„Jedenfalls in den Fällen, in denen die Aussage des Tatopfers das einzige Beweismittel ist, hat das Tatgericht eine besonders sorgfältige Beweiswürdigung unter Berücksichtigung der aussagepsychologischen Glaubwürdigkeitskriterien vorzunehmen (Brause, NStZ 2007, 505, 506).“
Somit hob der BGH das Urteil auf. Eine andere Strafkammer muss sich nun erneut mit der Glaubwürdigkeit der Aussage der Tochter auseinandersetzen.
BGH, Beschluss vom 19.06.2012, Az.: 5 StR 181/12