BGH zur Beweiswürdigung bei widersprüchlichen Aussagen

Das Landgericht Erfurt hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in acht Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt.

Gegen diese Entscheidung legte der Angeklagte durch seine Strafverteidigung die Revision ein.

Das Landgericht hat seine Entscheidung vor allem auf die Aussagen eines Zeugen gestützt. Dieser allerdings gab zunächst an, bei einem anderen bestellt zu haben und vom Angeklagten lediglich ab Ende 2006 mit Haschisch beliefert worden zu sein. Bei der polizeilichen Vernehmung hatte er angegeben, dass die Lieferungen erst im Sommer 2007 begonnen haben. Dabei hat er abwechselnd den anderen Zeugen sowie den Angeklagten als Lieferanten genannt.

Der 2. Strafsenat des BGH gab der Revision statt und hob das Urteil aufgrund fehlerhafter Beweiswürdigung auf (Verstoß gegen § 261 StPO):

Diese unkonstanten Angaben, die offenbar auch den Tatzeitraum betreffen, hätten für das Landgericht Anlass für eine besonders sorgfältige Würdigung der Aussage des Zeugen W. sein müssen. Dabei hätte die Kammer die Entstehung der einzelnen Angaben des Zeugen sowie ihre jeweiligen Inhalte im Einzelnen darlegen und vor allem – unter besonderer Berücksichtigung der von dem Zeugen für den jeweiligen Aussagewechsel gegebenen Erklärungen – erörtern müssen, aus welchem Grunde sie sich welcher Tatversion anschließt. Diesen Anforderungen ist die Kammer nur zum Teil gerecht geworden. So hat sie zwar in (noch) genügender Weise erläutert, dass aus ihrer Sicht die Korrektur der ursprünglichen Angaben durch die polizeilichen Vernehmungen vom 27. Oktober und 21. November 2008 der Glaubhaftigkeit der dabei gemachten, jetzt der Entscheidung zugrunde gelegten Angaben nicht entgegenstehe (vgl. UA S. 9). Sie hat sich aber nicht hinreichend mit dem zweiten Aussagewechsel des Zeugen unmittelbar nach der ersten Korrektur in den polizeilichen Vernehmungen in seiner eigenen Hauptverhandlung am 4. Dezember 2008 auseinander gesetzt. Es wird schon nicht klar, ob sich der Zeuge hierzu in der Hauptverhandlung gegen den Angeklagten geäußert hat; ebenso wenig erhellt sich, warum dieser nochmalige Aussagewechsel aus Sicht der Kammer für die Glaubwürdigkeit des Zeugen keine Rolle spielt. Die Ausführungen der Kammer in diesem Zusammenhang, die sich lediglich mit dem Umstand befassen, warum das Urteil gegen den Zeugen W. als Lieferanten den Zeuge Sa. nennt, greifen zu kurz, wenn sie sich mit den Aussagen von Prozessbeteiligten an dem damaligen Verfahren auseinandersetzen, anstatt die Frage zu stellen, aus welchem Grund der Zeuge W. entsprechende Angaben in seinem Verfahren gemacht hat und ob dies für deren Glaubhaftigkeit von Bedeutung ist.

Die Auseinandersetzung mit dieser Frage war umso mehr geboten, als nichts dafür ersichtlich ist, dass der von dem Zeugen für den ersten Aussagewechsel angegebene Grund, er habe sich von dem Angeklagten zunächst bedroht gefühlt und sei schließlich erst infolge der veränderten Sicherheitssituation in der Untersuchungshaft zu wahren Angaben hinsichtlich des Lieferanten bereit gewesen (vgl. UA S. 9), in dem bis zu seiner Hauptverhandlung dauernden kurzem Zeitraum entfallen sein könnte. Mit dem Umstand, dass der Zeuge in der gegen ihn gerichteten Hauptverhandlung gleichwohl zu seiner ursprünglichen Aussageversion zurückgekehrt ist, hätte sich das Landgericht deshalb – insbesondere vor dem Hintergrund der Feststellung, dass er ausdrücklich erklärt haben soll, keine vorsätzlich falschen Angaben in den polizeilichen Vernehmungen vom 27. Oktober und 21. November 2008 gemacht zu haben – eingehend auseinandersetzen müssen. Dies war im Übrigen nicht deshalb entbehrlich, weil das Landgericht mögliche Falschbelastungsmotive des Zeugen (UA S. 10: Absprache mit dem Zeugen Sa. ; § 31 BtMG) erörtert und deren Vorliegen verneint hat, weil auch das Fehlen solcher Motive den zweimaligen Aussagewechsel nicht erklären kann.

Damit hat sich das Landgericht laut Entscheidung des BGH nicht ausführlich genug mit den Aussagen des Zeugen befasst. Dies wäre jedoch insbesondere deshalb erforderlich gewesen, da das Gericht die Verurteilung auf diese Aussagen gestützt hat. Dabei hätten die widersprüchlichen Aussagen differenziert bewertet werden müssen. Das Landgericht hätte genau darlegen müssen, auf welche der Versionen es die Verurteilung stützt, um den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Beweiswürdigung gerecht zu werden.

BGH, Beschluss vom 18.11.2010, Az.: 2 StR 497/10

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