Verfassungsbeschwerde

  • Der Beschwerdeführer betrat mit circa 100 anderen Personen aus der sogenannten Bauwagenszene in Hamburg ein Grundstück, um dieses als neuen Wohnsitz zu nutzen. Zuvor fanden zwischen der Stadt Hamburg und Vertretern der Bauwagenszene Gespräche über dieses Grundstück statt.

    Am Abend versperrte die Polizei alle Ausgänge des Geländes, so dass es den Personen nicht mehr möglich war, das Gelände zu verlassen. Daraufhin stellte ein dazu Berechtigter Strafantrag gegen die Personen auf dem Grundstück, die Polizei wollte daher ihre Identität feststellen. Nachdem der Beschwerdeführer dies durch Vorlage seines Personalausweises ermöglicht hatte, durfte er dennoch das Gelände nicht verlassen. Vielmehr umstellte die Polizei die Personen und gab bekannt, dass sie wegen Verdachts des Hausfriedensbruchs vorläufig festgenommen seien.

    Die Polizei verbrachte den Beschwerdeführer zusammen mit anderen zu einer Polizeiwache und später zum Polizeipräsidium. Dort wurde er erkennungsdienstlich behandelt, indem drei Lichtbilder von ihm angefertigt wurden. Als Ermächtigungsgrundlage dafür gab die Polizei § 81b Alt. 1 StPO an. Das Ganze dauerte mehrere Stunden, da der Beschwerdeführer zwischendurch lange warten musste. Anschließend wurde er entlassen.

    Gegen die Freiheitsentziehung beantragte der Beschwerdeführer die Feststellung der Rechtswidrigkeit vor dem Amtsgericht. Das Gericht bewertete die Freiheitsentziehung ab Umstellung auf dem Gelände als rechtswidrig.

  • Eine der wichtigsten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts in diesem Jahr ist die Entscheidung vom 4. Mai 2011 zu der seit vielen Monaten diskutierten Unterbringung in der Sicherungsverwahrung, die der Verfassungsbeschwerde von vier Sicherungsverwahrten zugrunde liegt.

    Die Pressemitteilung des BverfG:

    Regelungen zur Sicherungsverwahrung verfassungswidrigDas Bundesverfassungsgericht hat heute sein Urteil über die Verfassungsbeschwerden von vier Sicherungsverwahrten verkündet, die sich gegen die Fortdauer ihrer Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach Ablauf der früher geltenden zehnjährigen Höchstfrist (Sicherungsverwahrung I) bzw. gegen die nachträgliche Anordnung ihrer Unterbringung in der Sicherungsverwahrung (Sicherungsverwahrung II) wenden.

    Über den Sachverhalt informiert die Pressemitteilung Nr. 117/2010 vom 16. Dezember 2010. Sie kann auf der Homepage des Bundesverfassungsgerichts eingesehen werden.

    Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat entschieden, dass alle Vorschriften des Strafgesetzbuches und des Jugendgerichtsgesetzes über die Anordnung und Dauer der Sicherungsverwahrung mit dem Freiheitsgrundrecht der Untergebrachten aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG nicht vereinbar sind, weil sie den Anforderungen des verfassungsrechtlichen Abstandsgebots nicht genügen.

    Überdies verletzen die mit den Verfassungsbeschwerden angegriffenen Vorschriften zur nachträglichen Verlängerung der Sicherungsverwahrung über die frühere Zehnjahreshöchstfrist hinaus und zur nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung im Erwachsenen- und Jugendstrafrecht das rechtsstaatliche Vertrauensschutzgebot aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.

    Bis zum Inkrafttreten einer gesetzlichen Neuregelung, längstens bis zum 31. Mai 2013, hat das Bundesverfassungsgericht die weitere Anwendbarkeit der für verfassungswidrig erklärten Vorschriften angeordnet, und im Wesentlichen folgende Übergangsregelungen getroffen:

    1. In den sog. Altfällen, in denen die Unterbringung der Sicherungsverwahrten über die frühere Zehnjahresfrist hinaus fortdauert, sowie in den Fällen der nachträglichen Sicherungsverwahrung darf die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung bzw. deren Fortdauer nur noch angeordnet werden, wenn eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Untergebrachten abzuleiten ist und dieser an einer
    psychischen Störung im Sinne von § 1 Absatz 1 Nr. 1 des Therapieunterbringungsgesetzes (ThUG) leidet. Die Vollstreckungsgerichte haben unverzüglich das Vorliegen dieser Voraussetzungen der Fortdauer der Sicherungsverwahrung zu prüfen und anderenfalls die Freilassung der betroffenen Sicherungsverwahrten spätestens zum 31. Dezember 2011 anzuordnen.

    2. Die übrigen Vorschriften über die Anordnung und Dauer der Sicherungsverwahrung dürfen während der Übergangszeit nur nach Maßgabe einer strikten Prüfung der Verhältnismäßigkeit angewandt werden, die in der Regel nur gewahrt ist, wenn die Gefahr künftiger schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten des Betroffenen besteht.

    Der Senat hat die mit den Verfassungsbeschwerden angefochtenen Entscheidungen, die auf den verfassungswidrigen Vorschriften beruhen, aufgehoben, weil sie die Beschwerdeführer in ihrem Freiheitsgrundrecht und ihren verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzbelangen verletzen, und die Sachen an die Fachgerichte zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen.

    Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:

    I. Völkerrechtsfreundliche Auslegung des Grundgesetzes

    1. Die Rechtskraft der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Februar 2004 – 2 BvR 2029/01 -, durch die die Aufhebung der früher für die Sicherungsverwahrung geltenden zehnjährigen Höchstgrenze und die Anwendung dieser Neuregelung auf die sog. Altfälle für verfassungsgemäß erklärt worden sind, stellt kein der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerden entgegenstehendes Prozesshindernis dar. Denn die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), die neue Aspekte für die Auslegung des Grundgesetzes enthalten, stehen rechtserheblichen Änderungen gleich, die zu einer Überwindung der Rechtskraft einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts führen
    können. So verhält es sich hier im Hinblick auf das Urteil des EGMR vom 17. Dezember 2009, durch das dieser festgestellt hat, dass die rückwirkende Verlängerung der Sicherungsverwahrung sowohl gegen das Recht auf Freiheit aus Art. 5 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) als auch gegen das in Art. 7 EMRK normierte Rückwirkungsverbot verstoßen.

    2. Die Europäische Menschenrechtskonvention steht zwar innerstaatlich im Rang unter dem Grundgesetz. Die Bestimmungen des Grundgesetzes sind jedoch völkerrechtsfreundlich auszulegen. Der Konventionstext und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte dienen auf der Ebene des Verfassungsrechts als Auslegungshilfen für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten und rechtsstaatlichen Grundsätzen des Grundgesetzes.

    Die völkerrechtsfreundliche Auslegung erfordert keine schematische Angleichung der Aussagen des Grundgesetzes mit denen der Europäischen Menschenrechtskonvention, sondern ein Aufnehmen ihrer Wertungen, soweit dies methodisch vertretbar und mit den Vorgaben des Grundgesetztes vereinbar ist.

    II. Verletzung des Freiheitsgrundrechts – Abstandsgebot

    Der in der Sicherungsverwahrung liegende schwerwiegende Eingriff in das Freiheitsgrundrecht ist nur nach Maßgabe strikter Verhältnismäßigkeitsprüfung und unter Wahrung strenger Anforderungen an die zugrunde liegenden Entscheidungen und die Ausgestaltung des Vollzugs zu rechtfertigen. Die vorhandenen Regelungen über die Sicherungsverwahrung erfüllen nicht die verfassungsrechtlichen (Mindest-)Anforderungen an die Ausgestaltung des Vollzugs.

    Die grundlegend unterschiedlichen verfassungsrechtlichen Legitimationsgrundlagen und Zwecksetzungen von Freiheitsstrafe und Sicherungsverwahrung erfordern einen deutlichen Abstand des Freiheitsentzugs durch Sicherungsverwahrung zum Strafvollzug (sog. Abstandsgebot). Während die Freiheitsstrafe der Vergeltung schuldhaft begangener Straftaten dient, verfolgt der Freiheitsentzug des Sicherungsverwahrten allein präventive Zwecke, nämlich die Verhinderung zukünftiger Straftaten. Er beruht nur auf einer Gefährlichkeitsprognose und legt dem Betroffenen im Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit gleichsam ein Sonderopfer auf. Die Sicherungsverwahrung ist daher nur dann zu rechtfertigen, wenn der Gesetzgeber bei ihrer Ausgestaltung dem besonderen Charakter des in ihr liegenden Eingriffs hinreichend Rechnung und dafür Sorge trägt, dass über den unabdingbaren Entzug der ?äußeren? Freiheit hinaus weitere Belastungen vermieden werden. Dem muss durch einen freiheitsorientierten und therapi!
    egerichteten Vollzug Rechnung getragen werden, der den allein präventiven Charakter der Maßregel sowohl gegenüber dem Untergebrachten als auch gegenüber der Allgemeinheit deutlich macht. Hierzu bedarf es eines Gesamtkonzepts der Sicherungsverwahrung mit klarer therapeutischer Ausrichtung auf das Ziel, die von dem Untergebrachten ausgehende Gefahr zu minimieren und auf diese Weise die Dauer der Freiheitsentziehung auf das unbedingt erforderliche Maß zu reduzieren. Die Perspektive der Wiedererlangung der Freiheit muss sichtbar die Praxis der Unterbringung bestimmen. Diese freiheitsorientierte Wahrung des Abstandsgebots trägt auch den Wertungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 7 Abs. 1 EMRK Rechnung, der in seinem Urteil vom 17. Dezember 2009 der Sicherungsverwahrung aufgrund des fehlenden Abstands zum Strafvollzug
    Strafcharakter beigemessen und auf die Notwendigkeit besonderer individueller Unterstützung des Sicherungsverwahrten abgestellt hat.

    Das verfassungsrechtliche Abstandsgebot ist für alle staatliche Gewalt verbindlich und richtet sich zunächst an den Gesetzgeber, dem aufgegeben ist, ein entsprechendes Gesamtkonzept der Sicherungsverwahrung zu entwickeln und normativ festzuschreiben. Dieses muss zumindest folgende Aspekte umfassen: Die Sicherungsverwahrung darf nur als letztes Mittel angeordnet und vollzogen werden. Etwa erforderliche therapeutische Behandlungen müssen schon während des vorangehenden Strafvollzugs so zeitig beginnen und intensiv durchgeführt werden, dass sie möglichst schon vor dem Strafende abgeschlossen werden. Spätestens zu Beginn des Vollzugs der Sicherungsverwahrung hat eine umfassende, modernen wissenschaftlichen Anforderungen entsprechende Behandlungsuntersuchung stattzufinden, auf deren Grundlage ein Vollzugsplan zu erstellen und eine intensive therapeutische Betreuung des Sicherungsverwahrten durch qualifizierte Fachkräfte stattzufinden hat, die eine realistische Entlassungsperspekt!
    ive eröffnet. Hierzu ist die Mitwirkung des Betroffenen durch gezielte Motivationsarbeit zu fördern. Das Leben in der Sicherungsverwahrung ist, um ihrem spezialpräventiven Charakter Rechnung zu tragen, den allgemeinen Lebensverhältnissen anzupassen, soweit Sicherheitsbelange nicht entgegenstehen. Dies erfordert zwar keine vollständige räumliche Loslösung vom Strafvollzug, aber eine davon getrennte Unterbringung in besonderen Gebäuden und Abteilungen, die den therapeutischen Erfordernissen entsprechen, familiäre und soziale Außenkontakte ermöglichen und über ausreichende Personalkapazitäten verfügen. Ferner muss das gesetzliche Konzept der Sicherungsverwahrung Vorgaben zu Vollzugslockerungen und zur Entlassungsvorbereitung enthalten. Dem Untergebrachten muss zudem ein effektiv durchsetzbarer Rechtsanspruch auf Durchführung der seine Gefährlichkeit reduzierenden Maßnahmen eingeräumt werden. Schließlich ist die Fortdauer der Sicherungsverwahrung in mindestens jährlichen Abstän!
    den gerichtlich zu prüfen.

    Diesen Anforderungen genügen die vorhandenen Regelungen über die Sicherungsverwahrung und folglich auch deren tatsächlicher Vollzug nicht. Vielmehr hat der Gesetzgeber die Sicherungsverwahrung immer mehr ausgeweitet, ohne dem bereits im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Februar 2004 konkretisierten Abstandsgebot Rechnung zu tragen. Das Institut der Sicherungsverwahrung ist ohne Wahrung des Abstandsgebots insgesamt mit dem Freiheitsgrundrecht der Untergebrachten nicht zu vereinbaren. Bundes- und Landesgesetzgeber stehen gemeinsam in der Pflicht, ein freiheitsorientiertes und therapiegerichtetes Gesamtkonzept der Sicherungsverwahrung zu entwickeln, das keine maßgeblichen Fragen der Entscheidungsmacht von Exekutive oder Judikative überlässt, sondern deren Handeln in allen wesentlichen Bereichen bestimmt.

    III. Verletzung des Vertrauensschutzgebotes

    Zudem verletzten die mit den Verfassungsbeschwerden angegriffenen Vorschriften zur nachträglichen Verlängerung der Sicherungsverwahrung über die frühere Zehnjahreshöchstfrist hinaus und zur nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung das rechtsstaatliche Vertrauensschutzgebot aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.

    Die Vorschriften enthalten einen schwerwiegenden Eingriff in das Vertrauen des betroffenen Personenkreises auf ein Ende der Sicherungsverwahrung nach Ablauf von zehn Jahren (in den sog. Altfällen) bzw. auf ein Unterbleiben der Anordnung der Sicherungsverwahrung (in den Fällen ihrer nachträglichen Anordnung). Angesichts des damit verbundenen schwerwiegenden Eingriffs in das Freiheitsgrundrecht kommt den betroffenen Vertrauensschutzbelangen verfassungsrechtlich ein besonders hohes Gewicht zu, das durch die Wertungen der Europäischen Menschenrechtskonvention noch verstärkt wird. Nach der Wertung von Art. 7 Abs. 1 EMRK hat der unzureichende Abstand des Vollzugs der Sicherungsverwahrung von dem der Freiheitsstrafe zur Folge, dass sich das Gewicht des Vertrauens der Betroffenen einem absoluten Vertrauensschutz annähert. Des Weiteren sind auf Seiten der betroffenen Sicherungsverwahrten die Wertungen von Art. 5 EMRK zu berücksichtigen. Danach kommt – unter Berücksichtigung der Recht!
    sprechung des EGMR – eine Rechtfertigung der Freiheitsentziehung in den hier in Rede stehenden Fällen der nachträglich verlängerten bzw. angeordneten
    Sicherungsverwahrung praktisch nur unter den Voraussetzungen einer psychischen Störung im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK in Betracht. Die Vorschrift verlangt das Vorliegen einer zuverlässig nachgewiesenen und fortdauernden psychischen Störung. Die gesetzlichen Regelungen müssen ihre Feststellung als ausdrückliche Tatbestandsvoraussetzung vorsehen. Die Rechtfertigung der Freiheitsentziehung setzt zudem eine Ausgestaltung der Unterbringung des Betroffenen voraus, die der Tatsache Rechnung trägt, dass er aufgrund einer psychischen Störung untergebracht ist.

    Unter Berücksichtigung dieser Wertungen und in Anbetracht des erheblichen Eingriffs in das Vertrauen der in ihrem Freiheitsgrundrecht betroffenen Sicherungsverwahrten tritt der legitime gesetzgeberische Zweck der angegriffenen Vorschriften, die Allgemeinheit vor gefährlichen Straftätern zu schützen, weitgehend hinter das grundrechtlich geschützte Vertrauen des betroffenen Personenkreises zurück. Eine rückwirkend angeordnete oder verlängerte Freiheitsentziehung durch
    Sicherungsverwahrung kann daher nur noch als verhältnismäßig angesehen werden, wenn der gebotene Abstand zur Strafe gewahrt wird, eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Untergebrachten abzuleiten ist und die Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EMRK erfüllt sind. Lediglich in solchen Ausnahmefällen kann noch von einem Überwiegen der öffentlichen Sicherheitsinteressen ausgegangen werden. Diesen Anforderungen genügen die hier in Rede stehenden Vorschriften nicht. Sie können auch nicht in einer Weise ausgelegt werden, dass ihre Verfassungsmäßigkeit noch gewahrt ist. IV. Übergangsregelung

    Zur Vermeidung eines ?rechtlichen Vakuums? hat das Bundesverfassungsgericht die verfassungswidrigen Vorschriften nicht für nichtig erklärt, sondern deren zeitlich befristete Weitergeltung angeordnet. Denn die Nichtigerklärung der einschlägigen Normen hätte zur Folge, dass es für die weitere Sicherungsverwahrung an einer Rechtsgrundlage fehlte und alle in der Sicherungsverwahrung untergebrachten Personen sofort freigelassen werden müssten, was Gerichte, Verwaltung und Polizei vor kaum lösbare Probleme stellen würde.

    Die Weitergeltungsanordnung muss im Hinblick auf den Umfang des vom Gesetzgeber zu erarbeitenden Gesamtkonzepts der Sicherungsverwahrung, die notwendige Schaffung zusätzlicher Personalkapazitäten sowie die Durchführung der für eine räumliche Trennung von Maßregel- und Strafvollzug erforderlichen Maßnahmen zwei Jahre betragen. Angesichts des mit der Sicherungsverwahrung verbundenen Grundrechtseingriffs ist es jedoch geboten, eine Übergangsregelung zu treffen, die die Wahrung verfassungsrechtlicher Mindestanforderungen sicherstellt. Im Hinblick auf die Vorschriften, die mit dem Vertrauensschutzgebot unvereinbar sind (III.), ist dabei auf das am 1. Januar 2011 in Kraft getretene Therapieunterbringungsgesetz zurückzugreifen. Mit diesem Gesetz hat der deutsche Gesetzgeber unter Berücksichtung der besonderen Voraussetzungen der Europäischen Menschenrechtskonvention eine weitere Kategorie für die
    Unterbringung psychisch gestörter und aufgrund ihrer Straftaten potentiell gefährlicher Personen geschaffen, die auf den aktuellen psychischen Zustand der Betroffenen und ihre daraus resultierende Gefährlichkeit abstellt.


  • Quelle: BVerfG, Pressemitteilung Nr. 28/2011 vom 15. April 2011

    Der Maßregelvollzug bzw. die Unterbringung wegen medizinischer Zwangsbehandlungen beschäftigten die Gerichte seit vielen Jahren, insbesondere Maßnahmen gegen den Willen des Betroffenen und Verurteilten. Häufig ist eine Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht (BverfG) der einzige Rechtsschutz, der den Betroffenen noch bleibt. Eine solche war im vorliegenden Fall erfolgreich.

    Pressemitteilung:

    Der Beschwerdeführer befindet sich seit 1999 aufgrund einer Verurteilung wegen im Zustand der Schuldunfähigkeit begangener Gewalttaten im Maßregelvollzug. Die Maßregelvollzugsklinik kündigte ihm schriftlich die Behandlung „mit einem geeigneten Neuroleptikum, das eventuell auch gegen Ihren Willen intramuskulär gespritzt wird“, an. Den hiergegen gerichteten Antrag des Beschwerdeführers auf gerichtliche Entscheidung wies das Landgericht mit der Maßgabe zurück, dass eine zwangsweise medikamentöse Therapie mittels atypischer Neuroleptika für einen Zeitraum von sechs Monaten zulässig sei. Die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde zum Oberlandesgericht hatte keinen Erfolg.

    Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 des rheinland-pfälzischen Maßregelvollzugsgesetzes (MVollzG Rh.-Pf.) sind operative Eingriffe, Behandlungen und Untersuchungen des Untergebrachten nur mit seiner Einwilligung zulässig, wenn sie mit einem wesentlichen gesundheitlichen Risiko oder einer Gefahr für das Leben des untergebrachten Patienten verbunden sind; sonstige operative Eingriffe, Behandlungen und Untersuchungen sind ohne Einwilligung des untergebrachten Patienten zulässig bei Lebensgefahr, bei schwerwiegender Gefahr für die Gesundheit des untergebrachten Patienten oder bei Gefahr für die Gesundheit anderer Personen. Ferner bestimmt der im konkreten Fall als Rechtsgrundlage herangezogene § 6 Abs. 1 Satz 2 MVollzG Rh.-Pf. in seinem ersten Halbsatz, dass im Übrigen Behandlungen und Untersuchungen zur Erreichung des Vollzugsziels ohne Einwilligung des untergebrachten Patienten durchgeführt werden können.

    Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat entschieden, dass § 6 Abs. 1 Satz 2 MVollzG Rh.-Pf. mit dem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG in Verbindung mit dem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG unvereinbar und nichtig ist. Die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Beschlüsse des Landgerichts und des Oberlandesgerichts wurden aufgehoben, da sie mangels ausreichender gesetzlicher Grundlage für die angekündigte Zwangsbehandlung den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit verletzen.

    Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:

    Die medizinische Behandlung eines Untergebrachten gegen dessen natürlichen Willen (Zwangsbehandlung) greift in besonders schwerwiegender Weise in dessen Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ein.

    Dem Gesetzgeber ist es nicht prinzipiell verwehrt, solche Eingriffe zuzulassen. Dies gilt auch für eine Behandlung, die der Erreichung des Vollzugsziels dient, also darauf gerichtet ist, den Untergebrachten entlassungsfähig zu machen. Zur Rechtfertigung eines solchen Eingriffs kann das grundrechtlich geschützte Freiheitsinteresse des Untergebrachten selbst (Art. 2 Abs. 2 GG) geeignet sein, sofern der Untergebrachte zur Einsicht in die Schwere seiner Krankheit und die Notwendigkeit von Behandlungsmaßnahmen oder zum Handeln gemäß solcher Einsicht krankheitsbedingt nicht fähig ist. Soweit unter dieser Voraussetzung ausnahmsweise eine Befugnis zur Zwangsbehandlung anzuerkennen ist, eröffnet dies keine „Vernunfthoheit“ staatlicher Organe über den Grundrechtsträger dergestalt, dass dessen Wille allein deshalb beiseite gesetzt werden dürfte, weil er von durchschnittlichen Präferenzen abweicht oder aus der Außensicht unvernünftig erscheint. Maßnahmen der Zwangsbehandlung dürfen nur eingesetzt werden, wenn sie im Hinblick auf das Behandlungsziel, das ihren Einsatz rechtfertigt, Erfolg versprechen und für den Betroffenen nicht mit Belastungen verbunden sind, die außer Verhältnis zu dem erwartbaren Nutzen stehen. Sie dürfen nur als letztes Mittel eingesetzt werden. Eine weniger eingreifende Behandlung muss aussichtslos erscheinen. Der Zwangsbehandlung muss, soweit der Betroffene gesprächsfähig ist, unabhängig von seiner Einsichts- und Einwilligungsfähigkeit der ernsthafte, mit dem nötigen Zeitaufwand und ohne Ausübung unzulässigen Drucks unternommene Versuch vorausgegangen sein, die auf Vertrauen gegründete Zustimmung des Untergebrachten zu erreichen.

    Der in einer geschlossenen Einrichtung Untergebrachte ist zudem zur Wahrung seiner Grundrechte in besonders hohem Maße auf verfahrensrechtliche Sicherungen angewiesen. Jedenfalls bei planmäßigen Behandlungen ist eine hinreichend konkrete Ankündigung erforderlich, die dem Betroffenen die Möglichkeit eröffnet, rechtzeitig Rechtsschutz zu suchen. Zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit unabdingbar ist die Anordnung und Überwachung einer medikamentösen Zwangsbehandlung durch einen Arzt. Zur Sicherung der Effektivität des Rechtsschutzes und der Verhältnismäßigkeit ist es geboten, gegen den Willen des Untergebrachten ergriffene Behandlungsmaßnahmen eingehend zu dokumentieren. Im Hinblick auf die besonderen situationsbedingten Grundrechtsgefährdungen, denen der Untergebrachte ausgesetzt ist, muss darüber hinaus sichergestellt werden, dass der Durchführung einer Zwangsbehandlung zur Erreichung des Vollzugsziels eine Prüfung in gesicherter Unabhängigkeit von der Unterbringungseinrichtung vorausgeht. Die Ausgestaltung der Art und Weise, in der dies geschieht, ist Sache des Gesetzgebers.

    Die wesentlichen materiellen und verfahrensmäßigen Voraussetzungen des Eingriffs bedürfen gesetzlicher Regelung.

    Die Eingriffsermächtigung des § 6 Abs. 1 Satz 2 MVollzG Rh.-Pf. genügt, auch in Verbindung mit weiteren Bestimmungen des rheinland-pfälzischen Maßregelvollzugsgesetzes, diesen Anforderungen nicht. Insbesondere fehlt es an der gesetzlichen Regelung des unabdingbaren Erfordernisses krankheitsbedingt fehlender Einsichtsfähigkeit. Auch eine Reihe weiterer für den Grundrechtsschutz wesentlicher Eingriffsvoraussetzungen ist nicht oder nur unzureichend geregelt.


  • Mit Beschluss wurde der Beschwerdeführer zum Pflichtverteidiger eines der wegen Mordes vor dem LG Saarbrücken angeklagten bestellt. Die Hauptverhandlung gegen insgesamt 12 Angeklagte fand an 148 Tagen in der Zeit vom 20. September 2004 bis zum 7. September 2007 statt.

    Der Beschwerdeführer beantragte nach Ende des Verfahrens die Festsetzung einer Vergütung als Pflichtverteidiger in Höhe von 120.250 EUR. Diese setzte sich zusammen aus gesetzlichen Pflichtverteidigergebühren von 47.790 EUR und einer zusätzlichen Pauschgebühr von 72.460 EUR. Bezüglich der Höhe der Pauschgebühr ging der Beschwerdeführer von der Wahlverteidigerhöchstgebühr nach der noch anwendbaren BRAGO multipliziert mit dem Faktor 1,25 aus.

    Das OLG Saarbrücken bewilligte dem Beschwerdeführer mit Beschluss eine Pauschvergütung in Höhe von insgesamt 63.450 EUR netto und wies den weitergehenden Antrag zurück. Der Beschwerdeführer rügte dies mit einer Verfassungsbeschwerde, da er seine Grundrechte aus Art 3 I GG und Art 12 I GG verletzt sah.

  • Strafkammer LG Berlin, Pressemitteilung Nr. 17/2011 vom 14.02.2011

    Gegenstand des vorliegenden Verfahrens war der Vorwurf der Untreue gem. § 266 I StGB zu Lasten von fünf ehemaligen Mitgliedern der Geschäftsleitung und sieben ehemaligen Mitgliedern des Aufsichtsrates der Immobilen und Baumanagement der Bankgesellschaft Berlin GmbH (IBG).
    Nachdem das Verfahren vom Bundesverfassungsgericht an das LG Berlin zurückverwiesen wurde, befasste sich dieses erneut mit dem Fall und prüfte den konkreten Schaden bei der als riskant eingestuften Kreditvergabe.
    Die Staatsanwaltschaft warf den Angeklagten vor, dass sie die im Gegenzug für die langfristig abgegebenen Mietgarantien über 25 Jahre vereinnahmten Mietgarantieprovisionen nicht ausreichend kalkuliert und des Weiteren das Fondgeschäft mit einem unzureichenden Risikocontrolling betrieben hätten.

    Die Strafkammer sprach alle Angeklagten frei. Dieser Freisprüche basierten auf der neuen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Entscheidung vom 23. Juni 2010, Az.: 2 BvR 491/09) zum Tatbestand der Untreue.

    Nach Ansicht der Strafkammer sei das Verhalten der Angeklagten bei den Fondschließungen im Ergebnis trotz Mängeln in der Kalkulation der Mietgarantiegebühren als insgesamt nicht pflichtwidrig einzustufen. Die Beweisaufnahme habe zudem ergeben, dass die Gesellschafterinnen der IBG (die LBB, die Berliner Bank, die BerlinHyp und die Bankgesellschaft Berlin AG) in Kenntnis der Risiken der Fortsetzung der LBB-Fonds-Reihe zugestimmt hätten. Diese Zustimmung sei nicht pflichtwidrig und schließe insoweit den Tatbestand der Untreue gem. § 266 I StGB aus.

    Die Staatsanwaltschaft Berlin kündigte indes bereits an, die Revision einzulegen. Dies begründete sie damit, dass die Beweisaufnahme in Ansehung der Schadensproblematik zu früh beendet worden sei.

  • Strafrecht / Verfassungsbeschwerde / Untreue
    2. Senat des Bundesverfassungsgerichts, Az.: 2 BvR 2559/08; 2 BvR 105/09; 2 BvR 491/09

    Hierbei handelt es sich um eine Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu den Voraussetzungen für strafrechtliche Verurteilungen wegen Untreue gem. § 266 StGB unter dem Gesichtspunkt des Bestimmtheitsgebotes des Art. 103 Abs. 2 GG. Es handelte sich um drei miteinander verbundene Verfahren. Die drei Beschwerdeführer waren jeweils wegen Untreue verurteilt worden und der Ansicht, dass der weit gefasste Straftatbestand der Untreue gegen das Bestimmtheitsgebot des Grundgesetzes verstoße.

    (1) Nach den Feststellungen des Tatgerichts verwaltete der Beschwerdeführer im ersten Verfahren als Bereichsvorstand der Fa. Siemens AG Gelder aus „schwarzen Kassen“. Dadurch entzog er den zuständigen Unternehmensorganen den Zugriff auf diese Gelder und verwendete sie später zum Zweck der Bestechung.

    (2) Beim zweiten Verfahren handelte es sich bei dem Beschwerdeführer um einen Vorstand einer Betriebskrankenkasse. Dieser schädigte nach den Feststellungen des Tatgerichts das Vermögen der Betriebskrankenkasse dadurch, dass er Angestellten der Krankenkasse über viele Jahre hinweg, zusätzlich zu deren Gehalt und der Vergütung geleisteter Überstunden Prämien in erheblicher Höhe bewilligte und so den ihm zustehenden Entscheidungsspielraum überschritt.

    (3) Bei den Beschwerdeführern im dritten Verfahren handelte es sich um Vorstandsmitglieder der Berlin-Hannoverschen Hypothekenbank A. Nach Feststellung des Tatgerichts sollen diese unter Verletzung ihrer der Bank gegenüber bestehenden Informations- und Prüfungspflichten, einen nicht ausreichend gesicherten Kredit für den Bau und die Modernisierung von Plattenbauwohnungen über knapp 20 Mio. DM bewilligt und ausgezahlt haben.

    Alle Beschwerdeführer wurden wegen Untreue gem. § 266 StGB zu Bewährungsstrafen verurteilt.

    Der 2. Senat erachtete die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführer 1 und 2 als nicht begründet. Hinsichtlich des Beschwerdeführers 3 erachtete es die Verfassungsbeschwerde als begründet, da das Urteil gegen ihn nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Auslegung des § 266 I StGB entspreche. Es sei nicht auszuschließen, dass die Verurteilung der Beschwerdeführer auf diesem Verstoß beruhe.

    Nach Ansicht des 2. Senats sei der Tatbestand des § 266 I StGB mit der Verfassung zu vereinbaren. Ein Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot liege nicht vor. Verfassungsrechtliche Bedenken, welche die Weite eines Straftatbestandes bei isolierter Betrachtung auslösen müsste, könnten durch eine gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung entkräftet werden. Daher hält der 2. Senat die Rechtsprechung dazu an, bei verbleibenden Unklarheiten über den Abwendungsbereich, diese durch Präzisierung und Konkretisierung im Wege der Auslegung auszuräumen. Aufgrund des in Art. 103 Abs. 2 GG zum Ausdruck kommenden strengen Gesetzesvorbehalts sei die Kontrolldichte bezüglich der Rechtsanwendung durch die Fachgerichte im Bereich des materiellen Strafrechts erhöht. Das Regelungskonzept des Gesetzgebers habe zwar zu einer sehr weit gefassten und verhältnismäßig unscharfen Vorschrift geführt, dies sei jedoch zum einen dem Interesse eines wirksamen und umfassenden Vermögensschutzes geschuldet und zum anderen sei § 266 I StGB das zu schützende Rechtsgut klar zu entnehmen. Der Tatbestand des § 266 I StGB lasse eine konkretisierende Auslegung zu. Diese sei von der Rechtsprechung in langjähriger Praxis umgesetzt worden und habe sich so in ihrer tatbestandsbegrenzenden Funktion als grundsätzlich tragfähig erwiesen.

    Diesen vom 2. Senat aufgestellten Anforderungen genügten die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführer 1 und 2 nicht. Hinsichtlich des Beschwerdeführers 2 sei eine Verletzung des Rechts aus Art. 103 Abs. 2 GG geschehen.

    Aus dem Wortlaut des Beschlusses:

    Die Auslegung und Anwendung des Nachteilsmerkmals durch das LG Berlin erweist sich dagegen als verfassungswidrig. Bei der Feststellung eines Vermögensnachteils hat die Strafkammer auf die Rechtsfigur des Gefährdungsschadens zurückgegriffen. Diese dogmatische Konstruktion ist unter dem Blickwinkel des verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebots zwar nicht grundsätzlich zu beanstanden, doch müssen die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Auslegung des Untreuetatbestands (hier: des Nachteilsmerkmals) auch fallbezogen gewahrt bleiben.

    Der Dogmatik der schadensgleichen Vermögensgefährdung oder des Gefährdungsschadens liegt die Annahme zugrunde, dass bei wirtschaftlicher Betrachtung unter bestimmten Umständen bereits die Gefahr eines zukünftigen Verlusts eine gegenwärtige Minderung des Vermögenswerts und damit einen vollendeten Schaden oder Nachteil im Sinne der §§ 263, 266 StGB darstellen kann (vgl. RGSt 16, 1, 11).

    Auch wenn mithin keine prinzipiellen verfassungsrechtlichen Einwände gegen die Anwendung der dogmatischen Figur des Gefährdungsschadens auf den Untreuetatbestand, auch und gerade in Fällen der Kreditvergabe, bestehen, so ist doch festzustellen, dass damit die Gefahr einer Überdehnung des Tatbestands in erhöhtem Maße verbunden ist.

    Die Entscheidungen des LG und des BGH verletzen das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 II GG, weil sie im vorliegenden Fall einen Vermögensschaden angenommen haben, obwohl keine den verfassungsrechtlichen Anforderungen entsprechende Feststellungen zu dem Nachteil getroffen wurden, der durch die pflichtwidrige Kreditvergabe der Beschwerdeführer verursacht worden sein könnte.

    Der Senat verwies daher das Verfahren des Beschwerdeführers 3 an das LG Berlin zurück, um den konkreten Schaden bei der riskanten Kreditvergabe über rund zehn Millionen Euro zu beziffern.

  • Das Bundesverfassungsgericht setzt sich nun mit der Frage der Sicherheitsverwahrung auseinander. Nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, dass die nachträgliche Sicherungsverwahrung nicht zulässig sei, haben vier Strafgefangene Verfassungsbeschwerde eingelegt. Diese Verfassungsbeschwerden verhandelt das Bundesverfassungsgericht jetzt.

    Insbesondere geht es um die Frage der Altfälle, die vor 1998 verurteilt wurden, da zu dieser Zeit die Sicherungsverwahrung auf zehn Jahre begrenzt war. Diese Grenze wurde jedoch aufgehoben und unbeschränkt verlängert.

    Es wird ein Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts zur Sicherungsverwahrung erwartet.
    ( Quelle: Hamburger Abendblatt vom 08.02.2011, S. 4 )


  • Im letzten Jahr sind 3061 Verfassungsbeschwerden beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eingegangen. Die Erfolgsquote liegt jedoch nur bei 2,4 %.
    Vor diesem Hintergrund scheint der Fall eines Klägers, ein Anwalt, interessant, der sich ebenfalls in einem Grundrecht verletzt sah. Der Kläger sollte ein Bußgeld in Höhe von 175 € zahlen und zudem sollte sein Führerschein für zwei Monate eingezogen werden. Daraufhin reichten der Kläger und sein Anwalt eine 1182 Seiten umfassende Verfassungsbeschwerde ein. Die Verfassungsbeschwerde wurde abgewiesen. In der Begründung heißt es: „Diese Verfassungsbeschwerde erfüllt nicht einmal die Mindestanforderungen an eine nachvollziehbare Begründung, sondern ist durch sachlich nicht gerechtfertigte und mutwillig erscheinende Wiederholungen sowie von unbelegten Vorwürfen gegenüber den Fachgerichten gekennzeichnet, u. a. der Behauptung der „wahnähnlichen Verkennung des Verfassungsrechts“ und erhobenen Verdächtigungen, Richter hätten sich einer Straftat schuldig gemacht.“

    Überdies müssen der Kläger und sein Anwalt eine Missbrauchsgebühr von je 1.100  Euro zahlen. Das Bundesverfassungsgericht begründete dies damit, dass es das Bundesverfassungsgericht nicht hinnehmen müsse, dass seine Arbeitskapazität durch derart sinn- und substanzlose Verfassungsbeschwerden behindert werde.
    (Bundesverfassungsgericht 2 BvR 1354/10)

  • BVerfG Beschluss vom 23. Juni 2010, Az. 2 BvR 2559/08, 2 BvR 105/09, 2 BvR 491/09

    Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) nahm sich drei Verfassungsbeschwerden eines in drei miteinander verbundenen Verfahrens an und hat am 23. Juni 2010  über die „Anwendung und Auslegung des Tatbestandes der Untreue (§ 266 Abs. 1 StGB) unter dem Gesichtspunkt des Bestimmtheitsgebotes des Art. 103 Abs. 2 GG entschieden“. Die Pressemitteilung sowie die Urteilsbegründung wurden vor kurzem veröffentlicht und geben einen Einblick in die Begründung.

    Die Beschwerdeführer sind wegen Untreue nach § 266 StGB verurteilt worden. Diese bestätigte der Bundesgerichtshof (BGH) in seinem Schuldspruch.

    Bei den Beschwerdeführern handelt es sich um einen Bereichsvorstand der Siemens AG, einem damaligen Vorstand einer Betriebskrankenkasse sowie um Vorstandsmitglieder der Berlin-Hannoverschen Hypothekenbank AG. Im ersten Verfahren wurden Gelder aus „schwarzen Kassen“ zur Bestechung in mehreren Fällen verwendet. Im zweiten Verfahren schädigte das Vorstandsmitglied das Vermögen der Betriebskrankenkasse dadurch, dass er Angestellten über Jahre neben dem Gehalt und bezahlten Überstunden weitere Prämien bewilligte und sich so über seinen Entscheidungsspielraum hinwegsetze. Im dritten Verfahren Wurde dem Vorstandsmitglied zu Last gelegt, „unter Verletzung ihrer der Bank gegenüber bestehenden  Informations- und Prüfungspflichten einen unzureichend gesicherten  Kredit für die Anschaffung und Modernisierung von Plattenbauwohnungen über knapp 20 Mio. DM bewilligt und ausgezahlt zu haben.

    Die Verfassungsbeschwerden in den ersten beiden Fällen wurden zurückgewiesen, die Verfassungsbeschwerde im dritten Verfahren hatte jedoch Erfolg. Der Beschluss des BGH sowie das Urteil des Landgerichts Berlin wurden dadurch aufgehoben und die Sache an das LG Berlin zurückverwiesen.

    In der Begründung verweisen die Richter des Bundesverfassungsgerichts auf die verfassungsrechtlichen Bedenken der Weite der Strafnorm der Untreue nach § 266 Abs. 1 StGB unter dem Gesichtspunkt des Bestimmtheitsgebots des Art. 103 Abs. 2 GG.

    Auszug aus der Urteilsbegründung:

    “Für den Gesetzgeber enthält Art. 103 Abs. 2 GG in seiner Funktion als Bestimmtheitsgebot dementsprechend die Verpflichtung, wesentliche Fragen der Strafwürdigkeit oder Straffreiheit im demokratisch-parlamentarischen Willensbildungsprozess zu klären und die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret zu umschreiben, dass Tragweite und Anwendungsbereich der Straftatbestände zu erkennen sind und sich durch Auslegung ermitteln lassen (vgl. BVerfGE 75, 329 <340 f.>). Die allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätze, dass der Gesetzgeber im Bereich der Grundrechtsausübung alle wesentlichen Entscheidungen selbst treffen (vgl. BVerfGE 101, 1 <34>; 108, 282 <312>) und dass er Rechtsvorschriften so genau fassen muss, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist (Grundsatz der Normenklarheit, vgl. BVerfGE 93, 213 <238>), gelten danach für den besonders grundrechtssensiblen Bereich des materiellen Strafrechts besonders strikt. Das Bestimmtheitsgebot verlangt daher, den Wortlaut von Strafnormen so zu fassen, dass die Normadressaten im Regelfall bereits anhand des Wortlauts der gesetzlichen Vorschrift voraussehen können, ob ein Verhalten strafbar ist oder nicht (vgl. BVerfGE 48, 48 <56 f.>; 92, 1 <12>).“

    Der Rechtsprechung sei demnach gehalten, „verbleibende Unklarheiten über den Anwendungsbereich einer Norm durch Präzisierung und Konkretisierung im Wege der Auslegung  nach Möglichkeit auszuräumen (Präzisierungsgebot)“. Jedoch ist nach Auffassung des Senats der Untreuetatbestand hiermit noch zu vereinbaren:

    Auszug aus der Pressemitteilung des Beschlusses vom 11. August 2010:

    „Der Untreuetatbestand ist mit dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG noch zu vereinbaren. Zwar hat das Regelungskonzept des Gesetzgebers – im Interesse eines wirksamen und umfassenden Vermögensschutzes – zu einer sehr weit gefassten und verhältnismäßig unscharfen Strafvorschrift geführt. § 266 Abs. 1 StGB lässt jedoch das zu schützende Rechtsgut ebenso klar erkennen wie die besonderen Gefahren, vor denen der Gesetzgeber dieses mit Hilfe des Tatbestandes bewahren will. Der Untreuetatbestand lässt eine konkretisierende Auslegung zu, die die Rechtsprechung in langjähriger Praxis umgesetzt und die sich in ihrer tatbestandsbegrenzenden Funktion grundsätzlich als tragfähig erwiesen hat.“

    Hiervon ausgehend ist in der Auslegung im dritten Verfahren gegen die Vorstände der Berlin-Hannoverschen Hypothekenbank AG der Tatbestand der Untreue nach §266 Abs. 1 StGB nicht erfüllt.

    Das Landgericht Berlin sah im konkreten Fall einen Gefährdungsschaden, der bereits zum Zeitpunkt der Bewilligung und Auszahlung des Kredits eingetreten sei, da „der durch Auszahlung des Kreditbetrags eingetretenen Vermögensminderung ein gleichwertiger Vermögenszuwachs in Form des Rückzahlungsanspruchs nicht gegenübergestanden habe, soweit die Rückzahlung mangels ausreichend werthaltiger Sicherheiten nicht gewährleistet gewesen sei.“

    Die Rechtsfigur des Gefährdungsschadens führt zu einer Überdehnung des Untreuetatbestandes durch eine Gleichsetzung von „gegenwärtigem Schaden und zukünftiger Verlustgefahr“. Der Gefahr, die Strafbarkeit des Untreueversuchs dadurch zu unterlaufen, kann allerdings dadurch entgegen gewirkt werden, indem der Gefährdungsschaden von den Gerichten in „wirtschaftlich nachvollziehbarer Weise nach anerkannten Bewertungsverfahren und –maßstäben festgestellt“ wird. Sei es durch Hinzuziehung eines Sachverständigen.

    Doch gerade dieses ist in dem konkreten Fall nicht erfolgt.

    So heißt es in der Pressemitteilung des BVerfG:

    “Die Entscheidungen des Landgerichts und des Bundesgerichtshofs verletzen das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG, weil sie einen Vermögensschaden angenommen haben, obwohl keine den verfassungsrechtlichen Anforderungen entsprechende, wirtschaftlich nachvollziehbare Feststellungen zu dem Nachteil getroffen wurden, der durch die pflichtwidrige Kreditvergabe der Beschwerdeführer verursacht worden sein könnte. Dass nach der Bewertung des Bundesgerichtshofs die als Vorstandsmitglieder verantwortlichen Beschwerdeführer ein allzu weites Risiko eingegangen sind, indem sie die Kreditgewährung für das Gesamtkonzept pflichtwidrig unter Vernachlässigung anerkannter deutlicher Risiken und Negierung vielfältiger Warnungen fortsetzten, ersetzt nicht die Feststellung eines konkreten Schadens.“

    Folglich hat die Verfassungsbeschwerde der Vorstände Erfolg, in den beiden vorherigen Fällen jedoch nicht. Das Verfahren ist an das LG Berlin zurückverwiesen.

  • Vor knapp 3 Monaten entschied das Bundesverfassungsgericht über die Verfassungsbeschwerde im Musterverfahren gegen die so genannte Vorratsdatenspeicherung. Konkret richteten sich die Beschwerdeführer gegen die aktuellen Vorschriften des Telekommunikationsgesetzes (§113a, 113b TKG) sowie §100g StPO und rügten auch die Verletzung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis.

    Des BVerfG hält mit dem Urteil vom 2. März 2010 (1 BvR 256/08, 1 BvR 263/08, 1 BvR 586/08) die derzeitige Ausgestaltung der Telekommunikationsüberwachung (Vorratsdatenspeicherung) für verfassungswidrig, sieht jedoch diese Regelungen nicht für gänzlich verfassungswidrig. Es müssen jedoch einige Regelungen abgepasst und konkretisiert werden.

    Die Fraktion „DIE LINKE“ hatte vor kurzem bei der Bundesregierung eine Anfrage über die Zahl der festgestellten Verurteilungen durch eben diese Vorratsdatenspeicherung gestellt. Die Bundesregierung antwortete (BT-Drucks. 17/1482) nun dahingehend, dass keine Erkenntnisse darüber vorliegen würden, in wie vielen Fällen es tatsächlich zu einer Verurteilung auf Grundlage der umstrittenen Telekommunikationsüberwachung gekommen sei. Demnach seien zwischen Mai 2008 und August 2009 in 4.707 Verfahren  auf die Vorratsdatenspeicherung zugegriffen worden. Genaue Zahlen im Hinblick auf die Verurteilung seien jedoch nicht bekannt.


Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht -
Strafverteidiger Dr. jur. Sascha Böttner

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