Der „Zeit“- Chefredakteur Giovanni di Lorenzo war so ehrlich, in der Talkshow „Günter Jauch“ zu „gestehen“, dass er im Rahmen der diesjährigen Wahl zum Europaparlament zwei Stimmen abgegeben hat. Aufgrund des Umstandes, dass er sowohl die italienische, als auch die deutsche Staatsbürgerschaft und offenbar aufgrund dessen zwei Wahlbenachrichtigungen erhalten habe, sei er davon ausgegangen, sowohl in Deutschland als auch in Italien wählen und mithin zwei Stimmen abgeben zu dürfen.
Keiner Schuld bewusst teilte er dies nicht nur Günter Jauch und den anwesenden Personen, sondern auch Millionen Zuschauern an dem TV-Bildschirm freimutig mit. Zweifellos ein Beleg dafür, dass sich di Lorenzo nicht darüber im Klaren war, dass § 6 IV EU- Wahlgesetz (EuWG) es Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft verbietet, doppelt zu wählen.
Doppelte Stimmenabgabe als Wahlfälschung gemäß § 107 a StGB
Die doppelte Stimmabgabe im Rahmen der Europawahl unterfällt im Deutschen Strafrecht dem Tatbestand der Wahlfälschung gemäß § 107 a StGB. Danach wird mit Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer unbefugt wählt oder sonst ein unrichtiges Ergebnis einer Wahl herbeiführt oder das Ergebnis verfälscht. Ebenso wird bestraft, wer das Ergebnis einer Wahl unrichtig verkündet oder verkünden lässt.
Handelte di Lorenzo vorsätzlich und hat er sich wegen Wahlfälschung strafbar gemacht?
Man könnte daran denken, der Umstand, dass di Lorenzo sich im Rahmen einer Talkshow öffentlich dazu geäußert und im Nachgang bekundet, ihm sei die rechtliche Regelung nicht bekannt gewesen, könnte das Fehlen des für eine Wahlfälschung notwendigen Vorsatzes beseitigen. Dies ist nicht der Fall, da im Deutschen Strafrecht der Grundsatz gilt „Unwissenheit schützt vor Strafe nicht“. Damit ist gemeint, dass jedenfalls dann, wenn die zugrundeliegenden Tatsachen bekannt sind und lediglich keine Kenntnis von dem Verbot besteht, die Strafbarkeit dadurch nicht entfällt. Es kann die Schuld allenfalls dann entfallen, wenn ein sogenannter „unvermeidbarer Verbotsirrtum“ im Sinne des § 17 StGB vorliegt. Die Anforderungen an einen solchen unvermeidbaren Verbotsirrtum sind jedoch hoch. So muss man sich zumindest kundigen Rechtsrat einholen. Hier hätte es bereits genügt, wenn die Wahlberechtigungskarten gründlich durchgelesen worden wären, um festzustellen, dass die doppelte Stimmenabgabe verboten ist. Eine Strafbarkeit entfällt dadurch also nicht.
Mit welcher Strafe muss bei doppelter Stimmenabgabe gerechnet werden?
Der Tatbestand der Wahlfälschung gemäß § 107 a StGB lässt ein weites Spektrum an möglichen Strafen zu. Bei der Strafzumessung wird zu berücksichtigen sein, dass Herr di Lorenzo keine Vorstrafen hat und – wie seine Bekundung in der Talkshow zeigt – offenbar tatsächlich nicht davon ausgegangen ist, sich strafrechtlich relevant bei doppelter Stimmenabgabe zu verhalten. Es ist auch zu berücksichtigen, dass die Ermittlungsbehörden ohne seine freigiebige Bekundung in der Talkshow vermutlich nicht auf diesen Umstand aufmerksam geworden wären. Ebenfalls ist im Rahmen der Strafzumessung zu Gunsten von di Lorenzo zu berücksichtigen, dass der Umfang des rechtswidrigen Eingriffs in die Wahl denkbar gering ist. Bei einer Wahlberechtigung von mehr als 400 Mio. Wahlberechtigten und einer Stimmenabgabe ebenfalls im dreistelligen Millionenbereich wirkt sich die doppelte Stimmenabgabe in der Tat äußerst gering aus. Auch spielt die im Vergleichsfall einer typischen Wahlfälschung äußerst geringe kriminelle Energie eine Rolle:
Wären ihm nicht zwei Wahlbenachrichtigungen zugesandt worden, wäre es möglicherweise gar nicht zur doppelten Stimmabgabe gekommen. Auch gab es keinerlei zu überwindende Sicherheitsmechanismen die „ausgetrickst“ worden sind.
Mit welcher Strafe ist in diesem Fall der Wahlfälschung zu rechnen?
Die Chancen stehen gut, dass unter Berücksichtigung der zahlreichen mildernden Faktoren das Verfahren ggf. gegen Zahlung einer Auflage eingestellt werden könnte. Würde die Staatsanwaltschaft diesen Weg nicht bestreiten, so wäre eine Geldstrafe deutlich unter der Grenze von 90 Tagessätzen anzusiedeln, mithin würde kein Eintrag in das normale polizeiliche Führungszeugnis erfolgen.
Problematisch ist hier, dass der Fall einer breiten Medienöffentlichkeit bekannt geworden ist und dies dazu führen könnte, dass die Staatsanwaltschaft aus Gründen der Abschreckung zu einer Geldstrafe tendieren könnte.
In jedem Fall hat die Einleitung des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens bereits jetzt dazu geführt, dass über die Einrichtung von Kontrollmöglichkeiten diskutiert wird, um zukünftig ähnlich gelagerte Fälle von doppelter Stimmenabgabe zu vermeiden.
Unabhängig von der Frage, ob und ggf. wie die Wahlfälschung zu bestrafen ist, wird ein Fall sicherlich nicht eintreten, nämlich die Wiederholung der Europawahl aufgrund dieses mehr oder weniger singulären Ereignisses.