Durchsuchung bei „Querdenker-Lehrer“ verfassungswidrig

BVerfG, Beschl. vom 15.11.2023 – 1 BvR 52/23

Ein verbeamteter Lehrer in Baden-Württemberg wurde beschuldigt, während einer Kundgebung von sog. Corona-Querdenkern zwei Polizisten als „Scheißkerle“ und „Prügelbullen“ beleidigt zu haben. Nach Akteneinsicht beantragte der Verteidiger des Beschuldigten die Einstellung des Verfahrens mangels hinreichenden Tatverdachts. Im Rahmen seiner Stellungnahme teilte der Verteidiger mit, dass sein Mandant „Beamter im aktiven Dienst“ sei. Nach Eingang der Stellungnahme ordnete das Amtsgericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft eine Durchsuchung u.a. der Person und der Wohnung des Beschuldigten an. Es sei mit einer empfindlichen Geldstrafe für den Beschuldigten zu rechnen. Dabei sei die Durchsuchung zur Ermittlung der Tagessatzhöhe erforderlich, da der Beschuldigte keine Angabe zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen gemacht habe. Die Maßnahme soll im angemessenen Verhältnis zur Schwere der Tat und zur Stärke des Tatverdachts stehen. Im Januar 2022 wurde die Durchsuchung vollzogen. Der Beschuldigte gewährte den Beamten Eintritt in seine Wohnung und suchte unter deren Aufsicht nach drei seiner jüngsten Einkommensnachweisen sowie seiner letzten Einkommenssteuererklärung und händigte diese an die Beamten aus. Weitere Durchsuchungsmaßnahmen fanden nicht statt.

Rechtsmittel gegen den Durchsuchungsbeschluss blieben vor dem Amtsgericht und dem Landgericht ohne Erfolg. Das Verfahren endete schließlich mit der Einstellung gegen Zahlung einer Geldauflage. Der Beschuldigte erhob jedoch Verfassungsbeschwerde gegen den Durchsuchungsbeschluss, in der er eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3, Art. 13, Art. 103 Abs. 1 und 2 GG, § 102 StPO rügt. Er hat geltend gemacht, dass die Durchsuchungsanordnung unverhältnismäßig gewesen sei. Als mildere Mittel gegenüber einer Durchsuchung wären Anfragen bei der Besoldungsstelle, beim Beschuldigten oder bei dessen Verteidiger in Betracht gekommen. Die Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg.

"Querdenker-Lehrer"

Grundrechtsschonende Ermittlungshandlungen unterblieben ohne triftigen Grund

Das Bundesverfassungsgericht hält die Anordnung der Durchsuchung unverhältnismäßig. Eine Durchsuchung greift in die durch Art. 13 GG grundrechtlich geschützte persönliche Lebenssphäre schwerwiegend ein. Dem erheblichen Eingriff entspricht ein besonderes Rechtfertigungsbedürfnis. Die Durchsuchung muss hinsichtlich des verfolgten Zwecks erfolgsversprechend und erforderlich sein. Erforderlich ist eine Maßnahme nicht, wenn andere, weniger einschneidende Mittel zur Verfügung stehen, um den verfolgten Zweck herbeizuführen. Zudem muss der jeweilige Eingriff in angemessenem Verhältnis zu der Schwere der Straftat und der Stärke des Tatverdachts stehen. Die Anordnung der Durchsuchung war danach unangemessen. Den Ermittlungsbehörden standen naheliegende und grundrechtsschonende Ermittlungsmaßnahmen zur Verfügung, die ohne triftigen Grund unterblieben sind. Angesichts grundrechtsschonender Ermittlungshandlungen stand eine Durchsuchung beim Beschuldigten außer Verhältnis zur Schwere der verfolgten Straftat. Als milderes Mittel führt das Bundesverfassungsgericht die Befragung des Beschuldigten zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen auf. Eine Verweigerung seitens des Beschuldigten lag nicht vor, sodass eine Befragung im Streitfall aus der ex ante-Perspektive mit einer realistischen Wahrscheinlichkeit zu den auch mittels einer Wohnungsdurchsuchung erlangten Information geführt hätte.

Weiteres milderes Mittel sei eine Anfrage bei der Besoldungsstelle bezüglich des Einkommens des Beschuldigten gewesen. Nachdem der Wohnort des Beschuldigten bekannt war und dieser sich dahingehend eingelassen hatte, er sei „Beamter im aktiven Dienst“, wäre dessen Besoldungsstelle unschwer in Erfahrung zu bringen gewesen. Selbst wenn durch die Anfrage bei der Besoldungsstelle nicht zwingend Informationen zu allen Einkünften des Beschuldigten zu erlangen gewesen seien, wäre diese Feststellung ausreichend, um eine angemessene Tagessatzhöhe festzusetzen, bei der dem Gericht Ermessensspielräume hinsichtlich der berücksichtigungsfähigen Faktoren belassen werden.

Darüber hinaus würde eine Anfrage bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Einblicke in Bankkonten und Bankdepots des Beschuldigten gewähren. Durch Anfragen bei den entsprechenden Banken und Instituten hätten Informationen zum Einkommen des Beschwerdeführers angefordert werden können. Zwar stellen eine BaFin-Abfrage und anschließende Bankanfragen angesichts des Umfangs der damit verbundenen Erhebung gegebenenfalls auch sensibler Daten einen erheblichen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar. Bankanfragen werden dennoch meist weniger grundrechtsintensiv als die Anordnung einer einen tiefgreifenden Grundrechtseingriff darstellenden Wohnungsdurchsuchung sein.

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