Ein Schlag auf ein Kameraobjektiv eines Pressefotografen zur Unterbindung der Fotografie kann eine Notwehr sein.
Der Angeklagte stand wegen eines anderen Verfahrens vor dem Amtsgericht Hamburg-Wandsbek. Auf dem Gerichtsflur wurde er von einem Pressefotografen mehrfach abgelichtet. Auch als der Angeklagte den Fotografen aufforderte aufzuhören, fertigte dieser weitere Fotos an. Daraufhin schlug der Angeklagte auf das Objektiv der Kamera und verletzt den Fotografen leicht.
Das Landgericht sah in diesem Handeln eine gefährliche Körperverletzung gemäß §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB. Eine Notwehrlage wollte das Landgericht nicht erkennen, da das Fotografieren in einem öffentlichen Gerichtsgebäude anlässlich einer öffentlichen Hauptverhandlung kein notwehrfähiger Angriff sei.
Dagegen legte die Strafverteidigung ihrerseits die Revision ein. Das Oberlandesgericht Hamburg zeigte schon bezüglich des gefährlichen Werkzeuges im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB bedenken:
Ein gefährliches Werkzeug ist ein Gegenstand, der nach seiner objektiven Beschaffenheit und nach der Art seiner Benutzung im Einzelfall geeignet ist, erhebliche Körperverletzungen zuzufügen. Entscheidend ist dabei die Erheblichkeit der Verletzungen, die der Täter durch den Einsatz dieses Werkzeuges verursacht hat oder verursachen wollte (Fischer, StGB, 59. Aufl. 2012, § 224 Rn. 9 m.w.N.).
Zur objektiven Eignung der Kamera, erhebliche Verletzungen herbeizuführen, enthält das Urteil außer einer formelhaften Behauptung (UA 17) keine Feststellungen. Die tatsächlich eingetretenen Verletzungen durch den mit Wucht ausgeführten Schlag gegen die Kamera (UA 6) sind vergleichsweise gering und unterscheiden sich nicht durch Verletzungen, die auch durch einen Schlag mit der bloßen Hand in das Gesicht hätten herbeigeführt werden können.
Eine einfache Körperverletzung würde dagegen zwar vorliegen, jedoch hat das Landgericht die Notwehr nicht rechtsfehlerfrei verneint. So erkennt das OLG Hamburg bereits eine Notwehrlage:
Das Anfertigen von Bildern ohne Einverständnis des Betroffenen stellt keinen Eingriff in § 22 KunstUrhG dar, denn diese Norm regelt ausdrücklich nur das Verbreiten oder öffentliche zur Schau stellen von Bildnissen. Das Herstellen eines Bildes stellt aber nach allgemeiner Ansicht der Rechtsprechung einen Eingriff in das sich aus Art. 1 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG ergebene allgemeine Persönlichkeitsrecht (Recht am eigenen Bild) dar, weil bereits mit der Anfertigung des Bildes in das Selbstdarstellungsrecht des Betroffenen eingegriffen, das Bildnis in der konkreten Form der Kontrolle und Verfügungsgewalt des Abgebildeten entzogen wird (Dreier/Schulze, 2. Aufl. 2006, § 22 KunstUrhG Rn. 13 m.w.N.; Götting in: Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, 4. Aufl. 2010, § 22 KunstUrhG Rn. 5 und 35 m.w.N.; OLG Karlsruhe, NJW 1982, 123).
Eine Rechtfertigung nach §§ 22, 23 KunstUrhG sei ferner nicht gegeben, vor allem ist der Angeklagte keine Person der Zeitgeschichte.
Das Fotografieren des Angeklagten ist nicht etwa deshalb gerechtfertigt, weil die Staatsanwaltschaft das Verfahren auf die Presseliste gesetzt hat. Das Recht des Angeklagten am eigenen Bild entfällt auch nicht bereits deshalb, weil er in einem öffentlichen Gerichtsgebäude anlässlich einer öffentlichen Hauptverhandlung fotografiert wurde. Ebenso wenig reicht die pauschale Feststellung, die Öffentlichkeit habe Interesse an Informationen über Strafverfahren in Schrift und Bild. Wenn das Landgericht ausführt, es sei Ausdruck der Pressefreiheit zu entscheiden, ob Artikel bebildert werden oder nicht, der Angeklagte habe dies auch in einem Strafverfahren, das eher dem Bereich der Kleinkriminalität zuzurechnen sei, hinzunehmen, so macht dies deutlich, dass das Landgericht das grundrechtlich geschützte Recht des Angeklagten am eigenen Bild nicht ausreichend in seine Abwägung eingestellt hat.“
Zum Abschluss stellt das OLG Hamburg noch einmal klar, dass es grundsätzlich keine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter bei der Notwehr gibt:
Der Schlag gegen die Kamera ist grundsätzlich geeignet, ein rechtswidriges Fotografieren zu beenden. Die bisherigen Feststellungen ergeben auch nicht, dass dem Angeklagten ein milderes Mittel zur Verfügung gestanden haben könnte. Der Angeklagte musste sich nicht darauf beschränken, sein Gesicht zu verdecken, denn der Angriff betraf die Abbildung seiner gesamten Person, nicht nur die seines Gesichts. Er durfte vielmehr die Verteidigung wählen, die den Angriff sofort und endgültig beendete. Die Feststellungen ergeben auch nicht, dass der zur Tatzeit 58-jährige Angeklagte in der Lage gewesen wäre, mit weniger Gewaltanwendung, etwa durch einfaches Wegnehmen der Kamera, den Angriff zu beenden. Eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter, wie sie das Landgericht offenbar mit der Bejahung der „Unverhältnismäßigkeit“ vornehmen will, findet bei § 32 StGB grundsätzlich nicht statt (Fischer, § 32 StGB Rn. 31 m.w.N.).
Somit muss sich das Landgericht Hamburg noch einmal mit der Sache beschäftigen. Das OLG Hamburg stellt zusätzlich fest, dass, wenn das Landgericht wieder eine Notwehr ablehnen sollte, zumindest ein Irrtum zu prüfen ist.
OLG Hamburg, Beschluss vom 5. April 2012, Az.: 3-14/12