1. Strafsenat des OLG Oldenburg, Az.: 1 Ws 128/11
Die Staatsanwaltschaft Oldenburg klagte den Angeschuldigten am AG Jever an, er habe in der Zeit vom 5. April 2008 bis zum 26. Januar 2010 durch 71 Straftaten, davon in 45 Fällen gemeinschaftlich mit der Mitangeschuldigten G und S handelnd
1. gewerbsmäßige Betrugshandlungen begangen, wobei es in fünfzehn Fällen beim Versuch blieb
2. Untreue
3. gewerbsmäßige Betrugshandlungen in Tateinheit mit Missbrauch von Scheck und Kreditkarten begangen.
Das AG Oldenburg erließ aufgrund dieser Vorwürfe auf Antrag der Staatsanwaltschaft gegen den Angeschuldigten gemäß § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO einen Untersuchungshaftbefehl wegen Wiederholungsgefahr. Seit dem 27. September 2010 befindet sich der Angeschuldigte in Untersuchungshaft. Mit Beschluss vom 9. Dezember 2010 hielt das AG Jever den Haftbefehl im Haftprüfungsverfahren aufrecht.
Der Angeschuldigte legte dagegen Haftbeschwerde ein. Das AG Oldenburg half dieser jedoch nicht ab. Nach Eingang der Akten beim Landgericht Oldenburg am 24. Februar 2011 hat dieses die Haftbeschwerde als Antrag auf Haftprüfung behandelt und den Haftbefehl aufrechterhalten.
Hiergegen und gegen den Haftbefehl wendet sich der Angeschuldigte mit der Beschwerde. Das Landgericht half dieser ebenfalls nicht ab und legte diese mit den Akten zur Entscheidung dem OLG Oldenburg vor.
Vor dem 1. Strafsenat des OLG Oldenburg war die weitere Beschwerde schließlich erfolgreich. Das Gericht hielt die Beschwerde des Angeschuldigten für zulässig und begründet. Der Ablauf des Verfahrens sei mit dem in Haftsachen nach Art. 2 Abs. 2 GG zu beachtenden Beschleunigungsgrundsatz unvereinbar und daher sei eine weitere Untersuchungshaft auf seiner Grundlage nicht verhältnismäßig.
Aus dem Wortlaut des Beschluss:
„Das Verfahren ist nicht mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung geführt worden.
Der Haftbefehl vom 22.09.2010 beinhaltet Vorwürfe von Straftaten, die zwischen dem 5. April 2008 und 26. Januar 2010 begangen wurden. Die Anklage vom 27.09.2010, die Anfang Oktober beim AG Jever einging, wurde erst gemäß Verfügung vom 08.11.2010 dem Verteidiger des Angeschuldigten zugestellt. Über eine Zulassung der Anklage ist bis heute, nicht entschieden worden.
Zwar ist dies hauptsächlich auf den Kompetenzkonflikt zwischen dem AG Jever und dem LG Oldenburg zurückzuführen, der erst am 24.02.2011 durch die Übernahme des Verfahrens durch das LG Oldenburg endete. Das rechtfertigt aber nicht die damit einhergehende Verzögerung in dieser Haftsache.
Die infolge dieser ungewöhnlichen und langwierigen Verfahrensweise eingetretene erhebliche Verzögerung des Verfahrens widerspricht dem Beschleunigungsgebot in Haftsachen und darf sich nicht zu Lasten des Angeschuldigten auswirken. Gerichtliche Bemühungen um eine Verfahrensverbindung sind gegenüber dem Beschleunigungsgrundsatz in Haftsachen nachrangig. Der in Untersuchungshaft gehaltene Angeschuldigte hat ein Recht darauf, dass die Haftsache mit größtmöglicher Beschleunigung betrieben wird. Somit müssen die Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um die notwendigen Ermittlungen mit der gebotenen Schnelligkeit abzuschließen und eine gerichtliche Entscheidung über die einem Beschuldigten vorgeworfenen Taten herbeizuführen. Dies verlangt der verfassungsrechtlich verankerte Beschleunigungsgrundsatz (BVerfGE 20, 45. 36, 264). An den zügigen Fortgang des Verfahrens sind dabei umso strengere Anforderungen zu stellen, je länger die Untersuchungshaft schon andauert (BVerfG StV 2006, 81). Kommt es zu vermeidbaren erheblichen und dem Staat zuzurechnenden Verfahrensverzögerungen, wobei es auf eine wie auch immer geartete Vorwerfbarkeit nicht ankommt, liegt ein Verstoß gegen Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG vor (BVerfG NJW 2006, 1336. OLG Nürnberg StV 2011, 39).“
Aufgrund der erfolgreichen weiteren Beschwerde hob das OLG Oldenburg den Haftbefehl und die Haftfortdauerentscheidung des LG Oldenburg auf und veranlasste die unverzüglich Freilassung des Angeschuldigten aus der U-Haft.