LG Memmingen bestätigt Beweisverwertungsverbot des „ANOM“-Chatverkehrs

Erfolg der Verteidigung bei Crypto-Handys

Das Landgericht Memmingen hat sich im Rahmen eines Strafverfahrens mit der Verwertbarkeit der Erkenntnisse aus der Auswertung gesicherter Chatverläufe des Krypto-Messengerdienstes „ANOM“ auseinandergesetzt, ein Beweisverwertungsverbot angenommen und den Angeklagten mangels weiterer Beweismittel freigesprochen (LG Memmingen, Urt. v. 21.08.2023 – 1 Kls 401 Js 10121/22).
Das Landgericht führte aus, dass das einzige Beweismittel der angeklagten Taten die archivierten Konversationen aus dem Krypto-Messengerdienst „ANOM“ seien. Der Angeklagte kommunizierte offen über den Messengerdienst über die angeklagten Betäubungsmittelgeschäfte. Diese archivierten Konversationen seien jedoch als Beweismittel vor Gericht nicht verwertbar. Die Kammer geht von einem Beweisverwertungsverbot aus.

Die Entwicklung des Krypto-Messengerdienst „ANOM“ durch das FBI

Der Krypto-Messengerdienst „ANOM“ fungiert als verschlüsseltes Kommunikationssystem, welches durch das amerikanische FBI konzipiert und heimlich innerhalb krimineller Kreise vertrieben wurde. Den Anwendern wurde Anonymität garantiert – die Mobilgeräte wurden als abhörsicher und durch die Strafverfolgungsbehörden nicht nachverfolgbar beworben. In Wirklichkeit jedoch konnte das FBI ohne Wissen der Benutzer alle über „ANOM“ gesendeten Nachrichten dekodieren und in Echtzeit überwachen. Die Mehrheit der „ANOM“-Nutzer waren weder US-Staatsbürger noch in den USA ansässig.

ANOM Crypto-Handy

Die Erhebung der „ANOM“-Daten

Im Sommer 2019 suchte das FBI während der Entwicklung von „ANOM“ nach einem „Drittland“ außerhalb der USA, um dort einen Server für die Datensammlung aufzusetzen. Auf Anfrage des „Drittlandes“ wurde zugesichert, dass dessen Identität vertraulich behandelt wird. Das „Drittland“ erhob auf Grundlage eines gerichtlichen Beschlusses ab Oktober 2019 die Daten des „ANOM“-Servers und leitete diese im Wege der Rechtshilfe an das FBI weiter. Durch das daraufhin eingeleitete Verfahren „Trojan Shield“ wurden unter anderen Taten mit Deutschlandbezug bekannt.

Der gerichtliche Beschluss des betreffenden Drittlands endete am 7. Juni 2021, wodurch ab diesem Datum keine weiteren Daten mehr gesammelt wurden. Am 21. April 2021 und am 28. September 2021 stellte die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main Rechtshilfeersuchen an die Justizbehörden der USA, infolgedessen die „ANOM“-Informationen über das Bundeskriminalamt weitergeleitet wurden. Am 3. Juni 2021 genehmigte das FBI die Verwendung der Daten in Ermittlungs- und Gerichtsverfahren. Das FBI stellte jedoch auch klar, dass es keine Zusicherungen hinsichtlich zusätzlicher Unterstützung macht. Lediglich in einem Schreiben vom 27.04.2022 teilte das FBI mit, dass es sich bei dem „Drittland“ um einen Mitgliedstaat der Europäischen Union handle und die Daten nach dem in dem Drittland nationalen Recht auf der Grundlage einer gerichtlichen Anordnung erhoben worden seien. Entsprechende Gerichtsbeschlüsse aus dem unbekannten Drittland liegen nicht vor. Weder dem Bundeskriminalamt noch der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt a. M. sind das Drittland noch die dort nach den Behauptungen des FBI ergangenen Gerichtsbeschlüsse bekannt. Eine Einsichtnahme und Überprüfung der Gerichtsbeschlüsse zur Erhebung der Daten ist nicht nur derzeit nicht, sondern auch in Zukunft mangels Preisgabe weiterer Informationen durch das FBI nicht möglich.

Das Verwertungsverbot als einzig logische Konsequenz

Das deutsche Recht sieht keine ausdrückliche Verwendungsbeschränkung für im Wege der Rechtshilfe aus dem Ausland erlangte Daten. Nach der Rechtsprechung des BGH (vgl. u.a. Beschluss des BGH vom 02.03.2022, 5 StR 457/21) lässt aufgrund des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung ein von den nationalen deutschen Vorschriften abweichendes Verfahren die Verwertbarkeit von im Ausland erhobenen Beweisen grundsätzlich unberührt und verpflichtet die deutschen Gerichte nicht dazu, die Rechtmäßigkeit von originär im Ausland geführten Ermittlungsmaßnahmen anhand der Vorschriften des ausländischen Rechts auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen. Dabei sollen Beweisverwertungsverbote nur in Ausnahmefällen eingreifen, etwa wenn die im Ausland erhobenen Beweise unter Verletzung völkerrechtlicher Garantien oder unter Verstoß gegen die allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätze gewonnen wurden. Es muss also ein so schwerer Mangel vorliegen, dass der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens erschüttert ist. Eine Überprüfung, ob ein solcher Mangel vorliegt, konnte nicht durchgeführt werden, da weder das „Drittland“ genannt wurde noch wurden die dort ergangenen gerichtlichen Beschlüsse zur Datenerhebung zur Verfügung gestellt. Gar sind die gerichtlichen Beschlüsse bislang nur vom „Hörensagen“ bekannt.

Für einen Beschuldigten besteht bei dieser Sachlage in Ermangelung eines gerichtlichen Beschlusses keine Möglichkeit, den Beschluss zu überprüfen und sich gegen den Beschluss gerichtlich zur Wehr zu setzen. Der zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union etablierte Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung im Sinne eines gegenseitigen Vertrauens der Mitgliedstaaten darauf, dass ihre jeweiligen nationalen Rechtsordnungen in der Lage sind, einen gleichwertigen und wirksamen Schutz der auf Unionsebene und in der Grundrechtscharta anerkannten Grundrechte zu bieten, darf sich für den Beschuldigten nicht dergestalt negativ auswirken, dass er keine Möglichkeit hat, die Ursprungsmaßnahme gerichtlich überprüfen zu lassen. Es besteht für den Beschuldigten demnach eine mit dem Grundsatz des fairen Verfahrens nicht zu vereinbarende Rechtsschutzlücke.

Liegen keinerlei Beschlüsse vor, um die Einhaltung rechtsstaatlicher Mindestanforderungen zu prüfen, unter welchen Umständen die Daten erlangt wurden und ob die Daten manipuliert wurden, muss von einer Beweislastumkehr ausgegangen werden, sodass die Staatsanwaltschaft beweisen müsse, dass rechtsstaatliche Grundsätze gewahrt wurden.

Das Gericht könne auch nicht ausschließen, dass es sich bei dem unbekannten „Drittland“ nicht sogar um Deutschland handle. Dies würde zu dem Ergebnis führen, dass ein sich mit einem „ANOM“-Verfahren befassendes deutsches Gericht daran gehindert wäre, einen nach den nationalen Vorschriften der Strafprozessordnung zur Telekommunikationsüberwachung und von einem deutschen Ermittlungsrichter erlassenen Beschluss zur Erhebung von Kommunikationsdaten zu überprüfen, obwohl die Ermittlungsmaßnahme in Deutschland erfolgt ist. Damit läge eine bewusste und vorsätzliche Umgehung der maßgeblichen Vorschriften der Strafprozessordnung zur Kommunikationsüberwachung vor, welche die Unverwertbarkeit der erhobenen Beweise zur Folge haben muss.

Auch ein sog. Befugnis-Shopping könne nicht ausgeschlossen werden. Es bestehe die Möglichkeit, dass die deutschen Behörden durch ein planmäßiges Vorgehen zur Umgehung der maßgeblichen Vorschriften der Strafprozessordnung zur Kommunikationsüberwachung an der vom FBI betriebenen Datengewinnung in einem anderen Land der Europäischen Union mitgewirkt haben, oder aber auch, dass das FBI zur Umgehung der in den USA geltenden maßgeblichen Vorschriften zur Kommunikationsüberwachung einen „Drittstaat“ ausgewählt hat, in dem niedrigere Hürden für die Anordnung einer Kommunikationsüberwachung als in den USA gelten, um dort gezielt Daten zu erheben.

Zudem ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass gegen jeden Nutzer der „ANOM“-Handys ein Anfangsverdacht der Begehung von Straftaten besteht. Vielmehr sei die kriminelle Beteiligung eines jeden „ANOM“-Nutzers eine aufgestellte These der Ermittlungsbehörden, was zu einer anlasslosen Massenüberwachung führte. Eine solche Maßnahme ist nach der Strafprozessordnung nicht zulässig.

Die Revision vor dem Bundesgerichtshof

Die Staatsanwaltschaft war mit dem Urteil nicht einverstanden und legte das Rechtsmittel der Revision ein. In der nächsten Instanz gilt es, die Entscheidung des hier zuständigen 1. Strafsenats des BGH abzuwarten.

Die Entscheidung zeigt, dass es sich weiterhin lohnt, als Strafverteidiger weiter und intensiv für Verwertungsverbote im Zusammenhang mit Crypto-Handys wie „ANOM“ zu kämpfen.

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Das jüngste Urteil des Landgerichts Memmingen, das ein Beweisverwertungsverbot für die im „ANOM“-Fall gesammelten Beweise festgestellt hat, verdeutlicht die Notwendigkeit einer kompetenten Verteidigung in Fällen, die mit verschlüsselter Kommunikationstechnologie zu tun haben. Dieser Präzedenzfall zeigt, dass es möglich ist, Beweise erfolgreich anzufechten, wenn sie unter Verletzung völkerrechtlicher Garantien oder unter Verstoß gegen rechtsstaatliche Grundsätze gewonnen wurden.

Unsere Kanzlei verteidigt in zahlreichen Verfahren dieser Konstellation wie ANOM, Encro oder Sky-ECC und setzt sich dafür ein, die Rechte unserer Mandanten zu schützen. Wir verstehen die Komplexität dieser Angelegenheiten und sind bereit, unser fundiertes Wissen und unsere Erfahrung einzusetzen, um sicherzustellen, dass Ihre Verteidigung bestmöglich vorbereitet ist.

Wenn Sie sich in einer rechtlichen Situation befinden, die im Zusammenhang mit Crypto-Handys oder ähnlichen Technologien steht, zögern Sie bitte nicht, uns möglichst frühzeitig zu kontaktieren. Ihr Vertrauen in unsere Expertise ist der erste Schritt auf dem Weg zu einer starken Verteidigung. Wir freuen uns darauf, Ihnen zu helfen und gemeinsam mit Ihnen für die bestmögliche Lösung und einen guten Ausgang Ihres Verfahrens zu kämpfen. Gegebenenfalls auch in der Revision zum Bundesgerichtshof oder im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht.

Über den Autor

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