Heute hat nicht nur eine große deutsche Tageszeitung, sondern auch andere Medien die Frage aufgeworfen, ob die Durchführung einer Hauptverhandlung mit voraussichtlich 22 Verhandlungstagen gegen den ehemaligen Minister und Bundespräsidenten Christian Wulff notwendig sei, schließlich sei Wulff doch schon gestraft genug und es gehe ja „nur“ um ca. 720 EUR.
Natürlich übersteigen die Verfahrenskosten diese Summe bei Weitem und es ist richtig, dass Wulff sein Amt aufgrund dieser Affäre niedergelegt hat. Sein Ruf ist durch das Ermittlungsverfahren und schließlich die Anklage der Staatsanwaltschaft Hannover schwer beschädigt. Dies hat aber mit der Frage, ob die Anklage und die Durchführung des Strafverfahrens gerechtfertigt sind, wenig bis gar nichts zu tun. Die Staatsanwaltschaft Hannover behauptet in Ihrer Anklage, Herr Wulff habe sich bestechen lassen. Es handelt sich dabei nicht um ein sog. „Kavaliersdelikt“, sondern um eine schwere Straftat des Wirtschaftsstrafrechts. Eine Einstellung wegen Geringfügigkeit ist bei diesem Tatvorwurf fernliegend und wäre geradezu rechtsstaatswidrig. Da die Staatsanwaltschaft von einem hinreichenden Tatverdacht bzgl. dieses Vorwurfs überzeugt war/ist, gab es nur zwei Möglichkeiten: Die Erledigung im Strafbefehlsverfahren oder einen Anklage zum Gericht in Hannover. Nach Aktenlage war klar, dass Herr Wulff einen Strafbefehl nicht akzeptieren würde, also hat die Staatsanwaltschaft Hannover konsequenterweise Anklage erhoben, weil sie einen hinreichenden Tatverdacht angenommen hat. Aufgrund der Bedeutung des Verfahrens hat die Staatsanwaltschaft Anklage zum Landgericht erhoben, meines Erachtens der einzige Unterschied in der Verfahrensweise gegenüber einem Normalbürger, bei dem eher das Amtsgericht zuständig gewesen wäre.
Das Landgericht Hannover prüft von Amts wegen, ob die Anklage ganz oder teilweise zuzulassen ist, nimmt also eine eigene Prüfung des hinreichenden Tatverdachts vor. Das Landgericht Hannover ist zu dem Ergebnis gelangt, dass lediglich ein Tatverdacht hinsichtlich der Vorteilsannahmen nach § 331 StGB und damit für einen deutlich weniger schwerwiegender Tatbestand beseht, der „lediglich“ mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe von bis zu 3 Jahren geahndet wird.
Das Gericht kommt dann zu der nachvollziehbaren Erkenntnis, dass die Durchführung des Hauptverfahrens mit vielen Hauptverhandlungstagen, zahlreichen Zeugen etc. pp. möglicherweise außer Verhältnis zu dem stehen könnte, was hinterher dabei rauskommt, und, dass Wulff ja durch das Verfahren bereits beeinträchtig ist. Vermutlich ist deshalb Herrn Wulff die Einstellung des Verfahrens gegen Zahlung einer Geldauflage gem. § 153a StPO angeboten worden.
Was die Medien und teilweise sogar Rechtsanwälte nicht wahrhaben wollen: Da Herr Wulff dieses Angebot abgelehnt hat, ist das Gericht rechtlich dazu verpflichtet, eine Hauptverhandlung mit vollständiger Beweisaufnahme durchzuführen. Die Frage, ob sich das für den Steuerzahler, der im Falle eines Freispruchs die Verfahrenskosten, notwendigen Auslagen etc. trägt, rentiert ist daher absolut verfehlt, will man nicht Grundsätze des Rechtsstaates in Frage stellen.
Wenn ein Bürger, ob ehemaliger Bundespräsident oder nicht, von einer Staatsanwaltschaft in Deutschland angeklagt wird und das Gericht die Anklage ganz oder teilweise zulässt, dann hat der Angeklagte von dem Zeitpunkt an einen rechtsstaatlich garantierten Anspruch auf ein Urteil und muss keiner Einstellung zustimmen. Dies ist auch gut so: Wenn Jemand unschuldig angeklagt wird, dann muss er das Recht haben, in öffentlicher Hauptverhandlung den Tatvorwurf zu klären und freigesprochen zu werden und nicht im Wege einer manchmal auch als „drittklassigen Freispruch“ bezeichneten Einstellung das Verfahren – zwar ohne Schuldspruch aber für die Bevölkerung „irgendwie doch schuldig“.
Das Angebot der Einstellung gegen Zahlung der – gemessen an dem verbliebenen Tatvorwurf und den wirtschaftlichen Verhältnisse – vergleichsweise geringen Geldauflage abzulehnen ist mutig und zeugt davon, dass Herr Wulff – beraten durch 3 Strafverteidiger – ziemlich sicher ist, dass das Urteil „Freispruch“ lauten wird. Dabei ist das Risiko, dass diese Entscheidung mit sich bringt, sehr hoch. Im Falle einer Verurteilung würde er als Angeklagter nicht nur sämtliche Kosten des Prozesses tragen, sondern auch eine Geldstrafe bekommen, die sehr wahrscheinlich über den in der Auflage angebotenen Betrag liegen würde, wahrscheinlich im 6-stelligen Bereich. Zudem wird in einem Prozess, in dem mehr als 40 Zeugen vernommen werden sollen, erfahrungsgemäß viel Wäsche gewaschen, die nicht unbedingt immer weißer herauskommt als sie vor dem Verfahren war. Da der Tatbestand der Vorteilsannahme gem. § 331 StGB sehr weit gefasst ist, wird die „Beleuchtung“ des angeklagten Sachverhalts auch entsprechend intensiv ausfallen.
Als Gegner der ausufernden Rechtsprechung des BGH und Teilen der Oberlandesgerichte, die die Tatbestände der Korruptionsdelikte in den letzten Jahren immer weiter ausgedehnt haben, drücke ich Herrn Wulff beide Daumen für das vor ihm liegende Verfahren. Die meisten anderen prominenten Personen hätten sich für eine Einstellung entschieden. Mut wird aber vor Strafgerichten auch bei bester Strafverteidigung nicht immer belohnt. Oder wie ein deutsche Richter einmal treffend formulierte: „Ich weiß nicht, ob Sie bei mir Gerechtigkeit bekommen – aber Sie bekommen auf jeden Fall am Ende der Hauptverhandlung ein Urteil!“. Zudem wäre bei einer Einstellung das Verfahren nach Zahlung der Geldauflage erledigt gewesen. Gegen einen Freispruch kann die Staatsanwaltschaft dagegen Revision zum BGH einlegen.
Es sollte mehr mutige Angeklagte geben, die sich nicht durch scheinbar großzügige Angebote dazu verführen lassen, für aus Ihrer Sicht nicht gerechtfertigte Vorwürfe eine Geldauflage zu zahlen. Dennoch wird dieser Mut eines Prominenten ein Einzelfall bleiben, selbst wenn Herr Wulff freigesprochen werden sollte. Das Risiko ist letztlich einfach zu hoch allein durch die Durchführung der öffentlichen Hauptverhandlung mehr Schaden zu bekommen als Nutzen zu ziehen. Es soll Verfahren geben, in denen sich die Staatsanwaltschaft diesen Umstand zunutze macht. Ob dies hier der Fall ist, mag man bezweifeln – auch wenn die Staatsanwaltschaft medienwirksame Fotos und Kurzbeschreibungen veröffentlicht, die schon ein wenig an US-Amerikanische Verhältnisse erinnern. (Siehe dazu)
Das Ergebnis des Prozesses wird hoffentlich dazu führen, dass die Reichweite des Tatbestandes der Vorteilsnahme doch noch einmal überdacht wird. Es ist unserem ehemaligen Bundespräsidenten zu wünschen, dass dies nicht erst beim BGH sondern schon vor dem Landgericht Hannover gelingt.