Sexualstrafrecht

  • Nach den Feststellungen des Landgerichts Neuruppin hat der Angeklagte die 15-jährige Nebenklägerin auf die Lippen geküsst, wobei er gleichzeitig kurzzeitig seine Zunge in ihren Mund steckte. Nach einiger Gegenwehr ließ der Angeklagte von ihr ab. Anschließend streichelte der Angeklagte noch ihren Oberschenkel und fragte sie, ob sie mit ihm schlafen wolle. Der gesamte Vorfall dauerte nur wenige Sekunden.

    Auf die Berufung der Nebenklägerin hat das Landgericht das Urteil des Amtsgerichts Neuruppin, wonach der Angeklagte freigesprochen wurde, aufgehoben und den Angeklagten wegen sexueller Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt. Die Vollstreckung wurde zur Bewährung ausgesetzt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision.

  • OLG Koblenz, Beschluss vom 17.10.2011, Az.: 1 Ss 133/11

    Das Landgericht Koblenz hat den Angeklagten in der Berufung wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines zur Tatzeit 12-jährigen Mädchens in 5 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Dabei hat die Strafkammer zu Lasten des Angeklagten gewertet, dass das Opfer erst zwölf Jahre alt war und damit noch erheblich unter der Schutzaltersgrenze von vierzehn Jahren lag. Hiergegen richtet sich die Revision.

  • Vor dem Oldenburger Landgericht muss sich sich ein 22-jähriger Mann wegen Vergewaltigung und besonders schwerem Raub verantworten. Laut Staatsanwaltschaft hat der Mann im letzten Jahr in einem Oldenburger Bordell eine Prostituierte zum Geschlechtsverkehr gezwungen.

  • Quelle: Pressemitteilung des BGH Nr. 026/2012 vom 20.02.2012

    Mit dem vorliegenden Beschluss bestätigt der BGH den Freispruch eines Lehrers vom Vorwurf der Vergewaltigung  einer Kollegin an der hessischen Gesamtschule.

    Pressemitteilung:

    Bundesgerichtshof bestätigt Freispruch eines Lehrers vom Vorwurf der Vergewaltigung

    Die Staatsanwaltschaft Darmstadt legte dem als Lehrer tätigen Angeklagten zur Last, am 28. August 2001 während einer Pause eine Kollegin im Biologie-Vorbereitungsraum einer hessischen Gesamtschule vergewaltigt und geschlagen zu haben.

    Der Angeklagte war zunächst durch Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 24. Juni 2002 wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung und Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt worden. Zugleich war seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet worden. Die dagegen gerichtete Revision des Angeklagten hatte der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 13. Dezember 2002 verworfen. Der Angeklagte verbüßte die Freiheitsstrafe nach Beendigung der Unterbringung vollständig. Auf seinen Antrag ordnete das hierfür zuständige Landgericht Kassel durch Beschluss vom 13. April 2011 die Wiederaufnahme des Verfahrens und die Erneuerung der Hauptverhandlung an. Durch Urteil vom 5. Juli 2011 hob das Landgericht Kassel das Urteil des Landgerichts Darmstadt auf und sprach den Angeklagten frei. Das Landgericht gewann die Überzeugung, dass die angeklagte Tat sich nicht zugetragen hat und die entsprechenden Angaben der Nebenklägerin als falsch zu werten sind.

    Gegen diesen Freispruch richtete sich die Revision der Nebenklägerin, die eine Verletzung formellen und materiellen Rechts geltend machte.

    Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat mit Beschluss vom 9. Februar 2012 die Revision verworfen, da die Nachprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler ergeben hat. Das freisprechende Urteil des Landgerichts Kassel ist damit rechtskräftig.

    Beschluss vom 9. Februar 2012 – 2 StR 534/11

    Landgericht Kassel – Urteil vom 5. Juli 2011 – 1620 Js 16973/08 1 KLs

    Karlsruhe, den 26. Februar 2012

    Pressestelle des Bundesgerichtshofs
    76125 Karlsruhe
    Telefon (0721) 159-5013
    Telefax (0721) 159-5501


  • BGH, Beschluss vom 04.08.2011, Az.: 3 StR 99/11

    Das Landgericht Oldenburg hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen sowie wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und acht Monaten verurteilt, im Übrigen hat es ihn freigesprochen. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten.

    Dabei hat das Landgericht festgestellt, dass der Angeklagte an der Scheide der Nebenklägerin leckte und diese sodann veranlasste, seinen Penis in den Mund zu nehmen. Dadurch hat er sich einem Verbrechen nach § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB strafbar gemacht.
    In der Anklage war das Geschehen etwas anders dargestellt und die Staatsanwaltschaft klagte ein Vergehen nach § 176 Abs. 1 StGB an.
    Der Angeklagte rügte hier, dass das Landgericht den Sachverhalt ohne eine Nachtragsanklage aburteilte. Zudem beanstandete er, dass das Landgericht den Angeklagten nicht ausreichend auf straferhöhende Umstände (§ 265 Abs. 2 StPO) hingewiesen hat. Es erging lediglich ein Hinweis.

    Der Strafsenat führte dazu aus:

    „Die hiergegen vom Beschwerdeführer erhobene – entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts zulässige – verfahrensrechtliche Beanstandung hat Erfolg. Der erteilte Hinweis ermöglichte es dem Angeklagten nicht, seine Verteidigung hinreichend auf den verschärften Tatvorwurf einzustellen; denn er stellte nicht dar, aufgrund welcher Tatsachen das Landgericht den Qualifikationstatbestand des § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB als möglicherweise verwirklicht ansah (siehe dazu Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 265 Rn. 31 mwN).“

    Folglich muss das Tatsachengericht einem Angeklagten die Möglichkeit lassen, sich dem Tatvorwurf entsprechen zu verteidigen. Hier hat der Hinweis des Landgerichts nach Ansicht des BGH es dem Angeklagten nicht ermöglicht, sich angemessen auf den verschärften Tatvorwurf – welcher nicht angeklagt war – einzustellen. Der Hinweis hätte zumindest die Tatsachen enthalten müssen, auf welche das Gericht seinen Vorwurf stützt. Da dies nicht der Fall war, war dem Angeklagten keine angemessene Strafverteidigung möglich.

  • BVerfG, Beschluss vom 12.10.2011, Az.: 2 BvR 633/11

    Der Beschwerdeführer ist seit dem Jahr 2005 im Maßregelvollzug untergebracht. Nach dem Strafurteil, das der Unterbringung zugrundeliegt, leidet er an einer multiplen Störung der Sexualpräferenz und einer kombinierten Persönlichkeitsstörung. Im Juni 2009 kündigte die Maßregelvollzugsklinik dem Beschwerdeführer an, dass er mit einem Neuroleptikum behandelt werden und diese Behandlung erforderlichenfalls auch gegen seinen Willen – durch Injektion unter Fesselung – durchgeführt werden solle. Als Eingriffsermächtigung führte die Klinik § 8 II Satz 2 des baden-württembergischen Gesetzes über die Unterbringung psychisch Kranker an.

    Hiergegen beantragte der Beschwerdeführer den Erlass einer einstweiligen Anordnung sowie die gerichtliche Entscheidung gemäß § 109 StVollzG.

    Nachdem die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Heidelberg zunächst im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig die Verabreichung untersagt hatte, wies sie mit angegriffenem Beschluss den Antrag auf gerichtliche Entscheidung als unbegründet zurück. Der Beschwerdeführer erhob Rechtsbeschwerde (§ 116 StVollzG). Das Oberlandesgericht Karlsruhe verwarf mit angegriffenem Beschluss die Rechtsbeschwerde als unzulässig. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 116 Abs. 1 StVollzG lägen nicht vor.

    Mit der Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer, die angegriffenen Beschlüsse verletzten ihn in seinem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit. Die zwangsweise Verabreichung von Medikamenten gegen den ausdrücklichen Willen des Betroffenen sei nicht zulässig.

    Dazu das Bundesverfassungsgericht:

    „Die Verfassungsbeschwerde ist, soweit zulässig, begründet. Die angegriffenen Beschlüsse verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG.

    Die medizinische Zwangsbehandlung eines Untergebrachten greift in dessen Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ein, das die körperliche Integrität des Grundrechtsträgersund damit auch das diesbezügliche Selbstbestimmungsrecht schützt (vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 23. März 2011 – 2 BvR 882/09 -, EuGRZ 2011, S. 321 <326>). Entsprechendes gilt für die angegriffenen Entscheidungen, die die Zwangsbehandlung des Beschwerdeführers als rechtmäßig bestätigen.“

    „§ 8 Absatz 2 Satz 2  vom 2. Dezember 1991 (Gesetzblatt für Baden-WürttembergSeite 794) ist mit Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 in Verbindung mit Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes unvereinbar und nichtig.“

    Aus diesem Grund hat das Bundesverfassungsgericht den § 8 II Satz 2 des baden-württembergischen Gesetzes über die Unterbringung psychisch Kranker (Unterbringungsgesetz – UBG) wegen Verstoßes gegen Art. 2 II Satz 1 i.V.m. Art. 10 IV GG für nichtig erklärt. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht auch betont, dass eine Zwangsbehandlung dann gerechtfertigt sein kann, wenn das grundrechtlich geschützte Freiheitsinteresse des Untergebrachten selbst betroffen ist oder die Behandlung zur Erreichung des Ziels des Maßregelvollzuges erforderlich ist.


  • BGH, Beschluss vom 13.09.2011, Az.: 5 StR 189/11

    Das Landgericht Dresden hat den Angeklagten wegen schweren sexueller Missbrauchs von Kindern in 13 Fällen sowie sexuellen Missbrauchs von Kindern in fünf Fällen, jeweils in Tateinheit mit sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Ferner hat das sachverständig beratene Landgericht die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Gegen diese

    Entscheidung wendet sich der Angeklagte mit der Revision.

    Nach den Feststellungen des Landgerichts nahm der Angeklagte in der Zeit von Ende 2000 bis Anfang 2010 an vier Kindern – zwei Jungen und zwei Mädchen – im Alter zwischen sechs und 13 Jahren unterschiedlich intensive Sexualhandlungen vor. Die Kinder waren ihm anvertraut und lebten in seinem Haushalt.

    Der Angeklagte rügte, dass die Kammer falsch besetzt war, da die Hauptverhandlung nur mit zwei Berufsrichtern durchgeführt wurde.

    Dazu der BGH:

    „Gemäß § 76 Abs. 2 Satz 1 GVG hat die große Strafkammer die Entscheidung, dass sie die Hauptverhandlung in reduzierter Besetzung durchführt, bei der Eröffnung des Hauptverfahrens zu treffen. Eine Besetzungsentscheidung kann grundsätzlich nicht mehr geändert werden, wenn sie im Zeitpunkt ihres Erlasses gesetzesgemäß war; eine nachträglich eingetretene Änderung des Umfangs oder der Schwierigkeit der Sache ist deshalb regelmäßig nicht geeignet, eine der geänderten Verfahrenslage angepasste neue Besetzungsentscheidung zu veranlassen (vgl. BGH, Urteil vom 23. Dezember 1998 – 3 StR 343/98, BGHSt 44, 328, 333, und Beschlüsse vom 14. August 2003 – 3 StR 199/03, NJW 2003, 3644, 3645, und vom 29. Januar 2009 – 3 StR 567/08, BGHSt 53, 169). Hierdurch wird – de lege lata auch im Einklang mit § 6a StPO – sichergestellt, dass Verfahrensbeteiligte nicht durch entsprechende Antragstellungen nach einer einmal gefassten Besetzungsentscheidung Einfluss auf die Schwierigkeit und den Umfang der Sache und damit auf die Bestimmung des gesetzlichen Richters nehmen können (vgl. BGH, Urteil vom 23. Dezember 1998 aaO).

    Nur ausnahmsweise kann der Grundsatz der Unabänderlichkeit der Besetzungsentscheidung durchbrochen werden. Solches regelt § 222b StPO bei einem begründeten Besetzungseinwand (vgl. dazu insbesondere BGH, Beschluss vom 29. Januar 2009 – 3 StR 567/08, BGHSt 53, 169) oder § 76 Abs. 2 Satz 2 GVG für Fälle der Zurückverweisung einer Sache durch das Revisionsgericht. Die Besetzungsentscheidung kann schließlich vom Gericht – vor Eintritt in die Hauptverhandlung – korrigiert werden, wenn sie nach dem Stand der Beschlussfassung sachlich gänzlich unvertretbar und damit objektiv willkürlich getroffen worden war (vgl. BGH, Beschluss vom 31. August 2010 – 5 StR 159/10, BGHR GVG § 76 Abs. 2 Besetzungsbeschluss 8).“

    „Die Rüge bleibt hier aber wegen des fehlenden Besetzungseinwands nach § 222b StPO präkludiert. Die mögliche Anordnung der Sicherungsverwahrung war angesichts der Vielzahl und Schwere der angeklagten Taten und ihrer Begehung zum Nachteil mehrerer Kinder für alle Verfahrensbeteiligten ungeachtet fehlender Ausführungen in der Anklageschrift und im Eröffnungsbeschluss ersichtlich auch nicht etwa fernliegend; neue Vorwürfe, etwa im Wege einer weiteren Verfahrensverbindung, sind nicht Verfahrensgegenstand geworden. Der Senat kann es deshalb dahinstehen lassen, ob – mit dem Revisionsvorbringen – eine derart veränderte Verfahrenslage während laufender Hauptverhandlung überhaupt eine nachträgliche Korrektur der ursprünglichen Besetzungsentscheidung ermöglichen, etwa über eine unerlässliche Aussetzung der Hauptverhandlung nach § 265 Abs. 3 StPO erzwingen kann.“

    Der BGH stellt klar, dass die Besetzungsentscheidung grundsätzlich nicht mehr geändert werden kann, sofern sie rechtmäßig war. Dieser Grundsatz könne nur in Ausnahmefällen durchbrochen werden. Bei der Anordnung der Sicherungsverwahrung bedürfe es aber gerade grundsätzlich wegen der besonderen Schwere des Eingriffs in die Grundrechte einer zwingenden Besetzung der Schwurgerichtskammer mit drei Berufsrichtern. Allerdings sei die Rüge hier präkludiert.

    In der Sache hatte die Revision dennoch Erfolg, da die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach Ansicht des BGH nicht ausreichend begründet war.

    Daher wurde das Urteil des Landgerichts Dresden im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Der BGH betonte zudem noch, dass das neue Tatgericht nun nahe liegend in der Besetzung mit drei Berufsrichtern entscheiden müsse.


  • Vor dem Landgericht Braunschweig ist ein 46-jähriger Pfarrer der katholischen Gemeinde St. Joseph wegenSexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen angeklagt. Laut Anklageschrift hat er in insgesamt 240 Fällen den Kindesmissbrauch an drei Jungen vorgenommen. So habe er sich unter anderem nachts oder vor der Messe an den Jungen vergehen und auch Fotos von den Geschlechtsteilen der Kinder angefertigt.

    Einige der Vorwürfe bestätigte der Angeklagte bereits bei einer ersten Vernehmung und ein umfassendes Geständnis wurde angekündigt. So äußerste sich der Angeklagte zu seinem Werdegang und der Intention der Beziehungen zu den Jungen.

    Er selber erklärte die Taten mit ehrlicher Verbundenheit und Freundschaft und versuchte diese zu verharmlosen. Eines der Opfer sah er sodann liebevoll „wie einen Sohn“ an. Mit einem damals 10-jährigen Jungen sei er sogar nach Paris ins Disney Land sowie mehrmals in den Ski-Urlaub für mehrere Tage gereist, wo es zu weiteren sexuellen Handlungen gekommen sei. Die Eltern der betroffenen Kinder waren schockiert, ob der Fürsorgepflicht und der Beziehung des Pfarrers zu den Kindern.

    Viele Details sind dabei noch nicht einmal zum Vorschau gekommen – Es bleibt abzuwarten, inwiefern der Pfarrer und sein Strafverteidiger durch ein umfangreiches Geständnis den Prozess vorzeitig beenden und möglicherweise dadurch ein milderes Strafmaß erwarten können.

    Insgesamt wird die Diskussion um den sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche aufgrund dieses Prozesses wohl weitergeführt werden.

    ( Quelle: SPON 12.01.2012 )


  • BGH, Beschluss vom 26.10.2011, Az.: 2 StR 328/11

    Das Landgericht Darmstadt hat den Angeklagten wegen Verbreitens kinderpornografische Schriften in 22 Fällen und wegen Besitzes kinderpornografischer Schriften zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Gegen diese Entscheidung wendet sich der Angeklagte mit der Revision.

    „Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 ist die Vorschrift des § 66 StGB verfassungswidrig und gilt nur vorläufig bis zur Neuregelung durch den Gesetzgeber weiter. Während der Dauer seiner Weitergeltung muss der Tatsache Rechnung getragen werden, dass es sich bei der Sicherungsverwahrung in ihrer derzeitigen Ausgestaltung um einen verfassungswidrigen Eingriff in das Freiheitsrecht handelt. Nach der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts darf die Regelung der Sicherungsverwahrung nur nach Maßgabe einer „strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung“ angewandt werden. Das gilt insbesondere im Hinblick auf die Anforderungen an die Gefahrprognose und die gefährdeten Rechtsgüter. In der Regel wird der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei einer Anordnung der Sicherungsverwahrung nur gewahrt sein, wenn eine Gefahr schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder in dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist. Insoweit gilt in der Übergangszeit ein gegenüber der bisherigen Rechtsanwendung strengerer Verhältnismäßigkeitsmaßstab (Senat, Urteil vom 7. Juli 2011 – 2 StR 184/11; BGH, Urteil vom 7. Juli 2011 – 5 StR 192/11; Beschluss vom 4. August 2011 – 3 StR 235/11).
    Jedenfalls nach diesem Maßstab hat das Landgericht weder einen Hang zur Begehung erheblicher Straftaten im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB noch eine daran anknüpfende zukünftige Gefährlichkeit des Angeklagten tragfähig begründet. Das Landgericht hat nicht näher dargelegt, auf welche konkreten „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung von Kindern“ (UA S. 52, 55) sich der Hang des Angeklagten bezieht und welche solcher Straftaten von ihm mit welcher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sind. Damit genügen die Entscheidungsgründe nicht den Darstellungsanforderungen, die von der Rechtsprechung an die Beurteilung des Hangs und an die Gefährlichkeitsprognose gestellt werden, um eine revisionsgerichtliche Nachprüfbarkeit der vom Tatrichter vorzunehmenden Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten zu ermöglichen (BGH, Beschluss vom 27. September 1994 – 4 StR 528/94, NStZ 1995, 178; Beschluss vom 30. März 2010 – 3 StR 69/10, NStZ-RR 2010, 203; Beschluss vom 15. Februar 2011 – 1 StR 645/10, NStZ-RR 2011, 204; Beschluss vom 2. August 2011 – 3 StR 208/11).
    Soweit die Strafkammer vor dem Hintergrund der Anlasstaten auf die fest verwurzelte pädophile Neigung des Angeklagten und auf eine verharmlosende Haltung zur Kinderpornografie abgestellt hat, deren Konsum ihn eigenen Angaben zufolge von sexuellen Übergriffen auf Kinder abgehalten habe, mag dies einen Hang zu Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach der Art und mit dem Gewicht der Anlasstaten gemäß § 184b Abs. 1 und 2 StGB  belegen. Derartige Delikte des Umgangs mit Kinderpornografie, dessen Strafbarkeit nach dem gesetzlichen Regelungszweck des § 184b StGB darauf abzielt, der mittelbaren Förderung des sexuellen Missbrauchs von Kindern entgegenzuwirken (vgl. Fischer, StGB 58. Aufl., § 184b Rn. 2), sind allerdings nicht als ausreichend schwere (Sexual-)Straftaten anzusehen, auf die sich nach der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts der kriminelle Hang im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB aF beziehen muss.
    Für einen Hang des Angeklagten auch zu erheblichen Straftaten des sexuellen Missbrauchs von Kindern ließen sich zwar die vom Landgericht gewürdigten Vortaten anführen, zu denen auch Fälle des sexueller Missbrauchs von Kindern gemäß § 176a Abs. 2 StGB zählten, die grundsätzlich „schwere Sexualstraftaten“ im Sinne der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts darstellen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 2. August 2011 – 3 StR 208/11 und vom 11. August 2011 – 3 StR 221/11). Die letzten dieser Taten lagen jedoch über zwölf Jahre zurück. Das darin vom Landgericht erkannte, aber ohne Bedeutung für die Gefährlichkeitsprognose erachtete „Abschwächen der Deliktsintensität“ (UA S. 55, 59) hätte bereits bei der für das Vorliegen eines Hangs vorzunehmenden Gesamtwürdigung aller konkreten Umstände berücksichtigt werden müssen, die für die Beurteilung der Persönlichkeit des Angeklagten und seiner Taten maßgebend sind.“

    Aus diesen Gründen hat der BGH das Urteil des Landgerichts aufgehoben. Zwar lägen die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung vor, allerdings seien die materiellen Voraussetzungen nicht ausreichend dargelegt. Das Landgericht habe eine ausführliche Abwägung vornehmen müssen. Insbesondere seien die Anforderungen an die Beurteilung des „Hangs“ und an die sogenannte Gefährlichkeitsprognose nicht erfüllt, wodurch der BGH die Überlegungen des Tatgerichts nicht ausreichend überprüfen kann.


  • Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 16.11.2010, Az.: 1 Ws 446/10 (32)

    Der Angeschuldigte befindet sich aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Gera vom 12.05.2010, der durch den erweiterten Haftbefehl des Amtsgerichts Gera vom 27.05.2010 ersetzt wurde, seit dem 12.05.2010 in dieser Sache in Untersuchungshaft, zurzeit in der Justizvollzugsanstalt Gera.
    In dem Haftbefehl vom 12.05.2010 wurde dem Angeschuldigten zur Last gelegt, entgegen einer Weisung zu einem damals 12-jährigen Kind Kontakt aufgenommen und ihn dabei auch angefasst zu haben. Er war zuvor wegen sexueller Missbrauch von Kindern in 22 Fällen zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden.
    In dem Haftbefehl vom 27.05.2010 wurden dem Angeklagten vier weitere Fälle des schweren sexuellen Missbrauchs zur Last gelegt. Als Haftgründe nahm das Amtsgericht – wie zuvor – eine Flucht- und Verdunklungsgefahr an.
    Die Staatsanwaltschaft erhob sodann Anklage zum Landgericht Gera. Gegenstand der Anklage sind neben den bereits im Haftbefehl vom 27.05.2009 genannten Taten 72 Taten des Erwerbs kinderpornographische Schriften und 179 Taten der Verbreitung kinderpornografischer Schriften. Dabei wird ihm vorgeworfen kinderpornografisches Bildmaterial über das Internet ausgetauscht zu haben. Das Landgericht hat sodann wegen sämtlicher angeklagter Taten Untersuchungshaft angeordnet. Mit Beschluss vom selben Tag hat das Landgericht die weitere Untersuchungshaft gemäß § 121 I StPO für erforderlich erklärt und die Vorlage der Akten zur besonderen Haftprüfung an das Thüringer Oberlandesgericht veranlasst.
    Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft vertritt die Auffassung, dass eine Entscheidung des Senats über die Haftfortdauer derzeit noch nicht veranlasst sei.

    Aus dem Beschluss des OLG:

    „Was unter „derselben Tat“ im Sinne des § 121 Abs. 1 StPO zu verstehen ist, hat das Gesetz nicht definiert. In Rechtsprechung und Schrifttum besteht jedoch Einigkeit dahin, dass sie nicht mit dem Tatbegriff des § 264 StPO gleichgesetzt werden kann. Eine solche Auslegung würde dem Schutzzweck des § 121 StPO nicht gerecht werden, weil dies die Möglichkeit einer Reservehaltung von Tatvorwürfen ermöglichen würde (siehe etwa Senatsbeschluss vom 25.02.2010, 1 Ws 51/10, m.w.N.). Dann könnten nämlich fortlaufend neue Tatvorwürfe nachgeschoben und ein bestehender Haftbefehl jeweils ergänzt werden mit der Folge, dass die Frist nach § 121 Abs. 1 StPO immer wieder von Neuem beginnen würde. Ein solcher Missbrauch ist nach dem Schutzzweck der Vorschrift zu verhindern (Senatsbeschluss wie oben). Nach überwiegender Auffassung in Rechtsprechung und Literatur fallen unter den Begriff „derselben Tat“ im Sinne von § 121 Abs. 1 StPO alle Taten eines Beschuldigten von dem Zeitpunkt an, in dem sie – im Sinne eines dringenden Tatverdachts – bekannt geworden sind und in den bestehenden Haftbefehl hätten aufgenommen werden können. Dabei kommt es nicht darauf an, ob sie Gegenstand desselben Verfahrens oder getrennter Verfahren sind. Die Frist beginnt mithin nicht erneut zu laufen, sobald die Untersuchungshaft aufgrund eines neuen oder erweiterten Haftbefehls vollzogen wird, wenn dieser lediglich Tatvorwürfe enthält, die bereits im Sinne eines dringenden Tatverdachts bei Erlass des früheren Haftbefehls bekannt waren. Wird dagegen erst nach Erlass des früheren Haftbefehls eine neue Tat – im Sinne eines dringenden Tatverdachts – bekannt und ergeht deswegen ein neuer oder erweiterter Haftbefehl, so wird dadurch ohne Anrechnung der bisherigen Haftdauer eine neue Frist von 6 Monaten in Gang gesetzt. Fristbeginn ist in diesem Fall der Zeitpunkt, ab dem wegen des neuen Tatvorwurfs erstmals die Voraussetzungen zu dem Erlass oder die Erweiterung eines Haftbefehls vorgelegen haben (siehe Senatsbeschluss wie oben). Unter Berücksichtigung dieser Kriterien handelt es sich bei den Taten der Verbreitung und des Erwerbs kinderpornografischer Schriften (Nr. 6 – 256 des Haftbefehls vom 26.10.2010) nicht um ‚dieselbe Tat‘ wie die in dem Haftbefehl vom 27.05.2010 beschriebene Tat. Zwar hat sich der dringende Tatverdacht in Bezug auf die Verbreitung und den Erwerb kinderpornografischer Schriften tatsächlich erst nach Vorliegen des Auswertungsberichts der Kriminalpolizeiinspektion Gera vom 05.07.2010, der aufgrund der Auswertung der Daten auf dem Laptop des Beschuldigten durch die Kriminalpolizeiinspektion Gotha erstellt wurde, ergeben. Bei der gebotenen Beschleunigung der Auswertung hätten diese die Erweiterung des Haftbefehls um die Vorwürfe der Verbreitung und des Erwerbs kinderpornografischer Schriften aber bereits wesentlich früher, nämlich spätestens im Zeitpunkt des Erlasses des erweiterten Haftbefehls vom 27.05.2010 des Amtsgerichts Gera vorgenommen werden können.“

    „Insgesamt ist das Verfahren bisher mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung betrieben worden, sodass die Fortdauer der Untersuchungshaft über 6 Monate hinaus gerechtfertigt ist.“

    Das OLG hatte folglich zu klären, ob es sich bei dem sexuellen Missbrauch und beim Erwerb bzw. der Verbreitung kinderpornographischer Schriften um dieselbe Tat im Sinne von § 121 I StPO handelt. Dabei hat das OLG den Gesetzeszweck zugrunde gelegt. Nach Auffassung des Gerichts kommt es darauf an, wann die Taten eines Beschuldigten hätten bekannt werden können und in einen bestehenden Haftbefehl hätten aufgenommen werden können. Ob es sich dabei um ein Verfahren handelt, sei irrelevant. Da die weiteren Taten hier nicht früher hätten bekannt werden können und da  das OLG das Vorliegen von Haftgründen bejaht hat, wurde die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet.


Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht -
Strafverteidiger Dr. jur. Sascha Böttner

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