Haftbefehl wegen Fluchtgefahr gegen einen im Ausland wohnenden Angeklagten

Das Amtsgericht Cloppenburg hatte einen Haftbefehl wegen Fluchtgefahr gemäß § 112 II Nr. 2 StPO erlassen. Dem Mann wurde vorgeworfen, sich in zwei Fällen der Geldfälschung und in vier Fällen des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig gemacht zu haben. Dabei soll er Mitglied einer Bande gewesen sein, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat. Der im Ausland wohnende Angeklagte legte Haftbeschwerde ein. Das Landgericht Oldenburg hat daraufhin den Haftbefehl durch Beschluss aufgehoben, da keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine Fluchtgefahr bestünden.

Gegen diese Entscheidung legte die Staatsanwaltschaft Beschwerde ein. Dabei wurde die Fluchtgefahr damit begründet, dass die hohen Freiheitsstrafen der bereits verurteilten Mittäter bekannt seien und daher auch er mit einer erheblichen Freiheitsstrafe zu rechnen habe. Dies stelle genug Anreiz da, sich dem Verfahren zu entziehen.

Zudem stellte die Staatsanwaltschaft auf ein Schreiben des Verteidigers ab, welcher erklärte, dass sein im Ausland wohnender Mandant nur dann für das Verfahren nach Deutschland kommen werde, sofern nach Abgabe eines entsprechenden Geständnisses eine Bewährungsstrafe verhängt werde.

Die Beschwerde hatte im Ergebnis keinen Erfolg. Dazu das OLG:

„[..]Vielmehr erscheint mit Rücksicht auf die bisherige Unbestraftheit des Angeklagten, die infolge des Haftbefehls erfahrene und im Falle der Verurteilung auf die Strafe anzurechnende Freiheitsbeschränkung in Litauen sowie den Umstand, dass seit Begehung der Taten mehr als sieben Jahre verstrichen sind, die Verhängung einer Strafe in einem Bereich, der eine Strafaussetzung zur Bewährung zuließe, nicht ausgeschlossen. Damit löst die Straferwartung hier keinen besonderen Fluchtanreiz aus.
Auch das Schreiben des Verteidigers vom 8. Dezember 2010 gibt keinen ausreichenden Anlass für die Annahme, der Angeklagte werde sich dem Strafverfahren entziehen. Es kann deshalb insoweit dahinstehen, ob sich ein Beschuldigter dem Verfahren überhaupt schon dadurch im Sinne des § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO „entzieht“, dass er sich in seinem Heimatland zwar unter einer bekannten Adresse aufhält, im Übrigen aber passiv verhält. Ein Sichentziehen setzt nach der sprachlichen Bedeutung des Wortes mehr als bloß passives Verhalten oder bloßen Ungehorsam gegenüber behördlichen Anordnungen voraus; vielmehr verlangt der Begriff eine gewisse zweckgerichtete Tätigkeit, vgl. BGHSt 23, 380 (383) ; Meyer-Goßner , StPO , 53. Aufl. § 112Rdn. 18 m.w. Nachweisen; d.A. – als obiter dictum – OLG Köln stV 2004,121.. Allein ein bloßes Verbleiben am Wohnort kann daher grundsätzlich nicht einem Sichentziehen gleichgesetzt werden, zumal ein Beschuldigter nicht verpflichtet ist, seine Strafverfolgung zu erleichtern. Die Anordnung der Untersuchungshaft nach §§ 112 ff. StPO dient zudem nicht dazu, den etwaigen Erlass eines Haftbefehls nach § 230 Abs. 2 StPO wegen unentschuldigten Ausbleibens in der Hauptverhandlung vorwegzunehmen.“

Mit dieser Begründung wurde die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Aufhebung des Haftbefehls als unbegründet verworfen.

OLG Oldenburg, Beschluss vom 31.01.2011, Az.: 1 Ws 24/11

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