Das Prozessgrundrecht auf ein faires Verfahren stellt Mindestanforderungen für eine zuverlässige Sachverhaltsaufklärung auf.
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hatte sich im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde mit dem Zustandekommen einer Verfahrensabsprache in einem Strafprozess zu befassen. Der Angeklagte wurde wegen unerlaubten Handelns mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit gewerbsmäßiger Hehlerei in zwei tatmehrheitlichen Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten Freiheitsstrafe verurteilt.
Nach dem Beginn der Hauptverhandlung wurde auf Anregung der damaligen Strafverteidigung die Verhandlung für ein „Rechtsgespräch“ unterbrochen. Am Gespräch selbst nahmen der Vorsitzende Richter, die Vertreterin der Staatsanwaltschaft und die Strafverteidigerin teil. Die Schöffen waren nicht anwesend. Als das Verfahren fortgesetzt wurde, trug die Verteidigung des Beschuldigten ein Geständnis des Angeklagten vor. Anschließend plädierte die Strafverteidigung auf zwei Jahre auf Bewährung und die Staatsanwaltschaft auf eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten.
Beide plädierten zusätzlich auf die Aufhebung des Haftbefehls. Nach der Verurteilung des Angeklagten verzichteten beide Parteien auf weitere Rechtsmittel.
Als der Angeklagte trotzdem die Berufung einlegte, wurde das „Rechtsgespräch“ von den Parteien unterschiedlich beschrieben.
Die Strafverteidigung erklärte, dass es im Gespräch nie um den Verzicht von Rechtsmitteln ginge. Vielmehr ginge es um die Aufhebung des Haftbefehls und nur deswegen hätte der Angeklagte auch am Ende auf die Rechtsmittel verzichtet. Ferner wurde sich auf ein Strafmaß von zwei Jahren und zehn Monaten geeinigt. Die Strafverteidigung sieht in diesem Gespräch daher eine Verständigung nach § 257c StPO und ein Rechtsmittelverzicht sei damit nicht wirksam gewesen.
Die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft erklärte dagegen, dass sie im „Rechtsgespräch“ gegen die Aufhebung des Haftbefehls eine Beschwerde der Staatsanwaltschaft angekündigt hätte. Anders wäre es jedoch, wenn auf Rechtsmittel verzichtet und das Urteil rechtskräftig werden würde. Ihrer Meinung nach ging es der Strafverteidigung nur um das Aufheben des Haftbefehls, ein Gespräch über ein bestimmtes Strafmaß gab es dagegen nicht. Damit würde keine Verständigung nach § 257c StPO vorliegen und der Rechtsmittelverzicht wäre wirksam. Der Vorsitzenden Richter mag sich nicht mehr genau an das Gespräch erinnern, schließt sich zum größten Teil den Äußerungen der Staatsanwaltschaft jedoch an.
Das Landgericht hielt daraufhin eine Absprache für nicht als erwiesen an. Damit war der Rechtsmittelverzicht wirksam. Vor allem da die Strafverteidigung auf zwei Jahre plädierte, obwohl zwei Jahre und zehn Monate ausgehandelt sein sollten, spricht dagegen, dass die Strafverteidigung von einer festen Absprache ausging.
Dagegen legte der Beschwerdeführer sofortige Beschwerde ein. Aber auch das Oberlandesgericht Dresden verwarf die Beschwerde als unbegründet. Auch das Oberlandesgericht mag keine Verständigung im Sinne von § 257c StPO sehen. Neben den schon erwähnten unterschiedlichen, beantragten Strafhöhen, spricht auch das Fehlen der Schöffen gegen eine Verständigung.
In der Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer nun die Verletzung von Art. 2 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG. Vor allem wird kritisiert, dass sich die Fachgerichte mit Erklärungen der Beteiligten begnügten, anstatt selbst aufzuklären, ob eine Verfahrensabsprache vorlag.
Das BVerfG gibt der Beschwerde statt. Das Vorgehen des Oberlandesgerichtes widerspricht dem Prozessgrundrecht des fairen Verfahrens.
Es hätte jedenfalls der augenfälligen Ungereimtheit in der dienstlichen Erklärung der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft nachgehen müssen, die primär das Ziel einer Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft verfolgt und für den Fall einer Aufhebung des Haftbefehls die Einlegung einer Beschwerde angekündigt haben will, aber in der Hauptverhandlung die Aufhebung des Haftbefehls beantragte. Ferner hätte das Oberlandesgericht Stellungnahmen der Schöffen und der Urkundsbeamtin einholen müssen, nachdem die damalige Verteidigerin plausibel und widerspruchsfrei erklärt hatte, die Gespräche seien im Sitzungssaal fortgesetzt worden, und die dienstliche Stellungnahme des Vorsitzenden ohne sachlichen Gehalt geblieben war.
Ferner kritisieren die Verfassungsrichter, dass das Oberlandesgericht die verbleibenden Zweifel zulasten des Beschwerdeführers wertete. Dabei basieren die Zweifel zum Teil auf Verstöße gegen gesetzlich angeordnete Dokumentationspflicht der Gerichte. Diese dürften nicht zulasten des Beschwerdeführers gewertet werden. Insoweit hat die Verfassungsbeschwerde Erfolg. Die Sache wird an das Oberlandesgericht Dresden zurückverwiesen.
BVerfG, Beschluss vom 5. März 2012, Az.: 2 BvR 1464/11